Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
einfach, indem ihm zu verstehen gab, daß sie nicht in jeder Hinsicht sein Gast sein wollte? Da sie einander doch fremd waren und sich eben erst getroffen hatten?
»Nein, das hast du nicht«, sagte sie bedachtsam und setzte sich wieder auf den Stein. Vielleicht würde sie ihn besser verstehen, wenn sie mit ihm aß; obwohl sie sich nicht denken konnte, weshalb es von Bedeutung sein sollte, ob sie ihn verstand.
»Ich würde mich freuen, das Essen mit dir zu teilen. Ich bin Reyna Terlath«, sagte sie.
»Ich bin Juaren.«
»Und dein Tal?« Es war eine selbstverständliche Frage; aber sie brachte ein Glitzern in seine Augen und hatte zur Folge, daß er die Lippen zusammenpreßte.
»Ich habe kein Tal; ich bin allein«, sagte er.
Allein. Er war genauso allein, wie er auf sie gewirkt hatte, obwohl sie sich nicht vorzustellen vermochte, weshalb es so sein konnte. Sicherlich verlangte man von einem Jäger nicht, daß er auf sein Tal vollständig verzichtete. Sicher gab es einen Raum, den er als sein Heim betrachtete; selbst wenn er den Winterschlaf nicht dort hielt.
Reyna fühlte sich ebenfalls allein, während sie aßen. Juaren bediente sie aus seinem Packen; er legte die Lebensmittel wortlos heraus und machte keine Anstalten, mit ihr zu sprechen. Gelegentlich fühlte sie seinen Blick auf ihr ruhen, aber wenn sie aufsah, wandte er sich rasch ab, finster und abweisend, als fühle er sich unbehaglich in ihrer Gegenwart.
Nachdem sie gegessen hatten, blieben sie eine Weile sitzen, sprachen nicht und fragten sich, ob es nichts gab, was sie sich hätten sagen können. Er packte wieder ein und saß danach still, den Blick starr auf den Boden gerichtet, und malte Figuren mit der Speerspitze. Wenn er zu reden wünschte, entschied sie schließlich, so wußte er nicht, wie er es anstellen sollte. Er wußte nicht, wie man anfängt. Oder er fürchtete sich anzufangen.
Sie hatte ebenfalls keine Ahnung, wie sie ein Gespräch anfangen sollte, da sie so wenig von ihm wußte. Was konnte sie einem Mann sagen, der kein Tal für sich in Anspruch nahm? Einem Mann, der sich anscheinend in ihrer Gesellschaft unwohl fühlte? Einem Mann, der seit Tagen mit niemandem hatte reden können?
Plötzlich stand sie auf. »Ich muß jetzt hinuntergehen. Ich bringe Zweige für das Holzfeuer.«
Er nickte.
»Also dann – bis morgen.«
»Ja, morgen«, stimmte er gleichgültig zu.
Aber als sie ein Stück gegangen war, rief er sie wieder zurück. »Reyna Terlath«, sagte er.
Sie wandte sich um. »Ja?«
Er legte die Stirn in Falten und zögerte. Als er fortfuhr, schienen ihm die Worte Anstrengung zu bereiten: »Ich habe meinen Gildemeister verloren, als Coquel zum siebten Mal in diesem Winter aufging. Seitdem bin ich allein gewandert.«
»Das – das ist eine lange Zeit«, sagte sie ehrfürchtig.
Sie konnte sich nicht vorstellen, wie jemand einen halben Winter lang allein in den Bergen herumlaufen konnte, während die Menschen unten in den Tälern Winterschlaf hielten. Wenn ihr so etwas widerfahren wäre, würde sie bestimmt keine lockere Konversation mit dem ersten besten Fremden zustande bringen, der ihr über den Weg lief. Sie würde viele Hände von Tagen benötigen, die Gewohnheiten der Gesellschaft neu zu erlernen.
»Es ist eine sehr lange Zeit«, sagte sie.
Er nickte, hockte sich wieder hin und beschäftigte sich mit dem Packen. Als sie sich nicht sogleich wieder abwandte, sagte er kühl: »Morgen.«
»Ja«, pflichtete sie bei und wandte sich dem Garten zu.
Sie warf keinen Blick zurück, bis sie die Bäume erreicht hatte. Dann sah sie, daß er aufmerksam in den Himmel starrte, während er die Augen mit einer Hand beschattete. Erstaunt folgte sie seiner Blickrichtung und sah einen arnimischen Luftwagen über dem Tal kreisen; er schimmerte in der Sonne. Sie preßte die Lippen aufeinander und wandte sich der Aufgabe zu, Zweige für das Feuer zu finden.
Sie benötigte nur wenige Minuten dazu. Den ganzen Rückweg hatte sie Mühe, über ihre Begegnung nachzudenken, sich Gedanken darüber zu machen, ob Juaren nur gekommen war, um Pelze zu verkaufen, oder aus einem anderen Grund. Sie hatte Muße, sich Gedanken darüber zu machen, weshalb er so ängstlich schien, daß sie ihn verletzen könnte. Weshalb unterstellte er, daß sie arrogant sei, nur weil sie eine Palasttochter war? Niemand sonst unterstellte ihr das. Sie fragte sich auch, wie er allein in den Bergen überwintert hatte, ohne jemanden, mit dem er sich hätte unterhalten können; ohne
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