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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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und sie mußte sie rauben. Sie durfte nicht zaudern und nicht den Mut verlieren.
    Sie zog das sich windende Neugebotene dicht an ihren Leib, zischte ihm so laut ins Ohr, daß es zurückzuckte, und machte sich auf den Weg zu Riifikas Baumnest; das Herz war ihr schwer wie das einer Waisenjungen.
     

12 Reyna
    Als sie eine Stunde lang stromaufwärts gegangen waren -- von der Stelle aus, wo sie der Chatni begegnet waren - wurde der Fluß breiter und seichter, während er seinen Lauf zwischen hochaufragenden Bäumen hindurch fortsetzte. Es war schattig, und die Luft war schwer und dampfgesättigt. In den Bäumen gab es keine Anzeichen von Nestern. Juaren untersuchte den Boden beim Mondschein und fand nur die Fußspuren kleinerer Tiere.
    »Kein Chatni kommt hierher«, sagte er schließlich. »Dieser Platz sieht ganz so aus, als wäre er hervorragend zum Schlafen geeignet.«
    Dankbar sank Reyna auf ihr Lager; ihr Kopf schwirrte von Eindrücken: Birnam Rauths Stimme, die aus den Bäumen erscholl; das Geschöpf, das sie am Fluß angetroffen hatten; den Schimmer seiner Augen und die Schärfe seiner Reißzähne - in seinem Blick war jedoch etwas gleich stark ausgebildet gewesen, das über die Schläue eines Raubtieres hinausging. Eine gewisse Vernunft war zu erkennen gewesen, so fremdartig seine Denkprozesse auch sein mochten.
    Die Tatsache, daß ihr das Geschöpf zum Austausch gegen das Junge die blaue Singseide angeboten hatte, verstärkte ihren Eindruck, Intelligenz in seinen Augen erkannt zu haben aber eine Intelligenz, die sich unter anderen Bedingungen entwickelt haben mußte; eine Intelligenz, die mit anderen Maßstäben gemessen werden mußte. Und was bedeutete das? Daß die Chatni keine Gefahr darstellten? Oder daß sie, Juaren und Verra jetzt doppelt vorsichtig sein mußten, da die Kreatur von ihrer Anwesenheit im Wald wußte?
    Reyna schlief unruhig und richtete sich häufig auf, um der Stille des Waldes zu lauschen. Sie hatte ihr Jagdmesser und den Spieß neben sich.
    Das Licht sickerte bereits schwach durch die hohen Bäume, als sie ein schleifendes Geräusch in der Nähe weckte. Sie sog scharf die Luft ein, stützte sich auf den Ellbogen und ergriff furchtsam den Spieß; dann zwinkerte sie überrascht. Ein winziges Geschöpf mit rotem Gesicht war aus dem Gebüsch hervorgetreten und starrte sie vor Schreck bewegungslos an. Aufgeregt erwiderte sie sein Starren. Aus der Entfernung hätte sie es für ein zu klein gebliebenes menschliches Kind schalten können; rosafarben und bloß, mit feisten Gliedern und pausbäckigem Gesicht. Es stand auf zwei pummeligen Beinen, sein kahler Kopf wackelte scheinbar haltlos auf dem dicken Hals.
    Aber die Ähnlichkeit hielt einer genaueren Untersuchung nicht stand. Die Haut der Kreatur war fremdartig beschaffen, sein Mund breit und lippenlos, und was wie Fettrollen am Hals und Unterleib ausgesehen hatte, waren in Wirklichkeit schwellende Beutel.
    Was befand sich in ihnen? Reyna konnte es sich nicht vorstellen. Die Augen des Geschöpfes hielten ihren Blick gefangen; rund und dunkel und leer, als nähmen sie Bilder auf, ohne sie zu verstehen.
    Juaren«, sagte sie leise. Er schlief mit über den Kopf gezogener Decke.
    «Juaren!« Behutsam und mit vorsichtigen Bewegungen schob sie die Schlafdecke von sich.
    Weiter kam sie nicht, als das Geschöpf reagierte. Seine Au-weiteten sich, seine winzigen, dreifingrigen Klauen schlossen sich, und es stieß einen schrillen Schrei aus, seine Füße stampften fest auf den Boden.
    Verra und Juaren erwachten sofort und rissen ihre Waffen an sich. Nachdem ihr erster Schock abgeklungen war, ließen sie die Waffen wieder sinken und starrten einander verwirrt an. Wo kam es her?« fragte Juaren, während die Kreatur nicht aufhörte zu schreien.
    »Ich bin aufgewacht und sah es. Es ist ... ich glaube, es ist geradewegs über uns gestolpert«, schrie Reyna fast, um das kreische des Geschöpfes zu übertönen. Es hörte sich wie ein Alarmschrei an, scharf und durchdringend.
    Juaren grunzte verblüfft. »Ich bin bereit, ihm Beine zu machen.« Er erhob sich auf die Knie, richtete sich gegen die Kreatur auf und klatschte in die Hände.
    Die Augen des Geschöpfes flackerten, wurden noch riesiger, noch dunkler, noch irrer. Es starrte so angestrengt, daß es fast hintenüber purzelte. Seine Stimme wurde vorübergehend schwächer. Als Juaren erneut in die Hände klatschte, stieß es einen kurzen schrillen Schrei aus. Dann kreischte es auf, drehte sich um und floh,

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