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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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schrie es so unzufrieden? Wäre es eines von ihren eigenen gewesen, hätte sie es für einen Ruf nach Milch gehalten. Aber möglicherweise hatten die Eindringlinge es verletzt. Sie knetete die Seide in ihrer Hand und wünschte sich, ihre vertraute Stimme hervorlocken zu können, um sich mit ihr zu beraten.
    Sie wurde starr, als sich das sitzende Geschöpf mit dem Neugeborenen erhob. Das Wesen drehte sich um; Mondlicht fiel darauf, und Tsuuka erblickte zweierlei. Das Junge, das von dem Geschöpf gehalten wurde, war hinfällig und von Insektenstichen angeschwollen; es kam offenbar aus dem Grasland, wo Nachtflieger auf Beute aus waren. Und der schlankste der Eindringlinge trug ein weißes Band um die Taille, das ihr vertraut war.
    Tsuuka bleckte die Zähne in einer verwunderten Grimasse. Die Eindringlinge kamen aus dem Grasland, und sie hatten eine Sternenseide. Wo hatten sie das Gewebe erworben? Wem hatten sie es fortgenommen? Keiner der Sithis im Grasland war im Besitz einer Seide. Es gab keine Spinner dort, die sie hätten herstellen können. Und das Neugeborene ...
    Bevor sie eine Antwort auf eine dieser verwirrenden Fragen finden konnte, erkannte Tsuuka, daß sich die Eindringlinge wortlos untereinander verständigt haben mußten. Auf ein Zeichen eines von ihnen hin hoben sie alle drei die Köpfe und spähten in den Schatten, in dessen Schutz Tsuuka stand. Keiner von ihnen sprach, und keiner rührte sich, als ein Blick aus merkwürdigen Augen mit runden Pupillen auf den ihren traf. Als Tsuuka langsam ausatmete, war die Luft rauh in ihrer Kehle; heimlich maß sie die Stärke ihrer Glieder und verglich sie mit ihrer. Das Mondlicht schimmerte auf den kahlen Flächen ihrer Gesichter und ließ sie eine Erstarrung darauf erkennen, die nur von Furcht herrühren konnte.
    Sie versuchte, ihren Blick von den Blicken der Fremden zu lösen; vergeblich. Sie ihrerseits vermochten ihren starren Augen nicht auszuweichen. Angespannt und schweigend starrten sie einander über die geringe Distanz hinweg an, die sie noch trennte.
    Und dann tat der schmächtigste der Eindringlinge etwas völlig Unerwartetes. Er machte einen Schritt vorwärts, ohne seinen Blick von dem Tsuukas abzuwenden, wobei er das magere Neugeborene mit beiden Händen vor sich hielt. Als das Junge Tsuukas Witterung mitbekam, weiteten sich seine geschlitzten Augen, und es fing an, sich zu winden.
    Es war kein Mut, der Tsuuka vortreten ließ, damit sie das zappelnde Neugeborene in Empfang nehmen konnte. Es war reiner Instinkt. Das Neugeborene wand sich so heftig, daß Tsuuka befürchtete, das Geschöpf würde es fallen lassen. Sie nahm es nur entgegen, um es vor der Verletzung zu bewahren.
    Sie hatte nicht im Traum daran gedacht, die blaue Seide zum Tausch gegen das Neugeborene anzubieten. Aber si
    hielt das Gewebe in einer der Hände, die sie ausgestreckt hatte, und der Eindringling verstand es falsch. Er übergab ihr das Junge, zögerte und nahm dann die Seide mit bebenden Fingern aus Tsuukas Hand. Er trat zurück und streichelte die
    Seide, während er Tsuuka noch immer gespannt beobachtete.
    Tsuuka fühlte, wie ein warnendes Knurren in ihrer Kehle emporstieg. Aber die rundäugige Furcht im Gesicht des Eindringlings besänftigte sie. Dies und etwas, das sie in den Augen des Fremdlings sah; eine verwandte Intelligenz. Ihre Blicke verweilten noch für Momente jeweils in den Augen des anderen. Dann machte Tsuuka einen einzigen Schritt zurück in die Schatten. Der Eindringling tat es ihr entsprechend nach; er trat ebenfalls vorsichtig rückwärts, ohne ihr den Rücken zuzuwenden. Als er wieder bei seinen Gefährten an-
    gekommen war, verschwanden sie alle drei rasch in den Schatten am Flußufer.
    Tsuuka starrte lange auf den Fleck, auf dem sie gestanden hatten, ohne auf das hungrige Wimmern des Neugeborenen zu achten. Sie blickte auf ihre Fußabdrücke und versuchte, zu verstehen, was geschehen war und was es bedeutete. Sie hatte den Eindringlingen ihre Himmelsseide überlassen,
    wenn auch unbeabsichtigt. Ebenso unbeabsichtigt hatte sie die Verantwortung für ein Junges aus dem Grasland übernommen. Sie stand dort und lauschte und fragte sich, ob sie die Himmelsseide nach ihr rufen hören würde, ob sie ihre furchtsame Stimme vernehmen würde.
    Aber das war eine Illusion, und sie mußte sich dagegen wehren. Sie durfte nicht zulassen, daß diese Trennung sie ablenkte. Eindringlinge waren im Wald, aber sie hatten keine Gefahr bedeutet. Die Meisterseide bedeutete Gefahr,

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