Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
hinab.
Seide,
sagte Tsuuka, als sie begriff, daß sie es bei ihrer eigenen Rechtfertigung nicht bewenden lassen durfte; als ihr klar wurde, was sie als nächstes fragen mußte,
sag mir noch eines: Wie kann ich die rote Meisterseide einfangen und mein Junges davor bewahren, eine Grummlerin zu werden?
Die Seide fing genügend Wind auf, um heftig zu erbeben.
Tsuuka, meine Jägerin, das kannst du nicht. Kein Sithi darf eine Meisterseide besitzen. Sie bezieht ihr Leben direkt von der Lebensseide. Sie trägt das vollständige Gedächtnis der Bewahrten in sich, der es entnommen wurde; all ihre Freuden, alles, was sie im Lauf ihres Lebens gelernt hat. Du kannst keine Meisterseide an die Pfosten deines Nestes binden und sie bitten, in Harmonie mit meinen Schwesterseiden und mir für dich
zu
singen. Sie würde es nicht tun. Ihre Stimme ist auch nicht harmonischer als die der Sternenseide; sie . . .
Seide, mir geht es jetzt nicht um Harmonie,
unterbrach Tsuuka ungeduldig. Ihr war auch nicht daran gelegen, daß die Seide wieder von Dingen sprach, die sie nicht verstand, von der Lebensseide und der Bewahrten.
Wenn ich die Meisterseide nicht mit zurückbringe, wird mein Junges wieder nach ihr auf die Suche gehen – immer wieder. Kannst du mir versprechen, daß ihm nichts geschieht auf seiner Jagd?
Tsuuka, Jägerin; ich bin nichts als eine Singseide. Ohne Hilfe des Windes vermag ich nicht die Arme auszustrecken. Ohne Mondlicht kann ich nicht einmal reden. Meine Stimme und mein Bewußtsein stammen von der Meisterseide, mit der ich behandelt wurde; aber in mir ist nur die schwache Stimme der Gedanken. Ich bin geringer als alle übrigen Geschöpfe meiner Art; mit Ausnahme der Stummseiden.
Kannst du mir dein Wort darauf geben?
fragte Tsuuka hartnäckig.
Ich kann dir mein Wort darauf geben, daß dein Junges den Leibwächtern begegnen wird, wenn es auf die Jagd nach der Seide geht. Und das wird eher früher sein als später. Das Ungesehene hat nämlich bereits bemerkt, daß ihre Fruchtblase austrocknet, und ihrer Nachfolgerin die letzte Fütterung verabreicht, die sie aus dem Schlummerzustand erweckt und ihren Reifeprozeß einleitet. Schon bald wird die Nachfolgerin bereit sein. Dann muß sie ihren Umzug aus dem Knollenschacht, in dem sie ausgeschlüpft ist,
zu
dem unternehmen, in dem sie ihre eigenen Knollen säen wird. Die Ungesehene muß ebenfalls hervorkommen, um ihre Lebensseide zu spinnen, damit ihr Bewußtsein darin aufbewahrt werden kann. Das kann nicht in der Dunkelheit des Schachtes geschehen. Beide Male darf kein Geschöpf – weder Sithi noch irgendein anderes – in das Herz des Waldes gehen. Denn die Leibwächter haben nur einen Trieb, Tsuuka: nämlich die Ungesehene und ihre Nachfolgerin zu beschützen, und damit unsere ganze Rasse.
Die Besorgnis senkte ihre schwarzen Krallen in Tsuukas verwundbares Herz. Die Nachfolgerin, die Lebensseide, die Ungesehene ... Sie konnte mit diesen Dingen nichts anfangen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie aussahen oder wie sie rochen. Aber die stachelbewehrten Leibwächter hatte sie erblickt, und sie war selbst Zeuge gewesen, wozu sie fähig waren.
Wann . . . wann wird es soweit sein, Seide?
fragte sie. Ihre Finger waren kalt, ihre innere Stimme war schwach.
Ich kann nur sagen, daß es bald sein wird, Tsuuka,
sagte die Seide unterwürfig.
Die Zeit ist nahe.
Da endlich wußte Tsuuka, was sie schon lange geahnt hatte – daß es nur eine Möglichkeit gab. Sie selbst mußte die rote Seide ergreifen.
Heute nacht? Mußte sie heute nacht auf die Jagd nach ihr gehen? Sie strich sich übers Fell und versuchte, sich Mut zu machen. Was wäre, wenn sie ginge und nicht zurückkehrte? Was würde dann aus ihren Nestlingen? Falett und Dariim konnten auf sich selbst aufpassen. Paalan und Kaliir nicht. Sie mußte für die Möglichkeit Vorsorge treffen, daß sie nicht zurückkam.
Traurig erinnerte sich Tsuuka an Riifika, deren Jungen vor kurzem tot zur Welt gekommen waren. Wenn es nötig war, daß sie die rote Seide erjagte, mußte sie Riifika wecken und sie bitten, sich Paalans und Kaliirs anzunehmen, falls sie nicht wiederkommen sollte; sie zu füttern und pflegen, zu erziehen und zu trainieren und über ihr Wohlergehen zu wachen, bis sie einen eigenen Baum haben würden.
Wenn sie nicht aus dem tiefen Wald zurückkäme, könnte sie sich niemals mehr mit ihren Jungen sonnen. Sie könnte ihnen nie mehr zusehen, wie sie Fleisch rissen; niemals mehr ihr Glucksen und Knurren hören, nie
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