Sternenstaub (German Edition)
Augen, zwei tiefe Ozeane, spiegelten voll Trauer das Leid wider, das über die Welt gekommen war und seine Opfer gefordert hatte.
Ein klagender Ruf hallte über das tote, ausgeweidete Land, über das der Drache auf seinem Felsvorsprung thronte, als er seinen Kopf hochwarf und dann eine Stoß-flamme gen Himmel schickte, dort, wo die Seelen seiner Gefährten nun waren, die vielleicht mit derselben Trauer und auch Reue hinab auf das Schlachtfeld blickten, welches sie hinterlassen hatten.
Dies und auch ihren einsamen Gefährten hatten sie im Stich gelassen, als sie nur an sich denkend und von der Lust nach Schätzen und den lupenreinsten Edelsteinen gepackt, für die selbst ernannten Herrscher der Welt – die Men-schen - in den Krieg zogen. Ein Krieg um Land, ein Krieg aus Gier.
Einen Laut von klagendem Jaulen, über beängstigendes Knurren bis hin zu einem beinahe schönen Klang, schickte der Drache auf die Reise. Ein uraltes Lied, das bei Mond-licht oft über Wälder und Wiesen bis hinunter zum Meer geklungen war, dessen Flut nun das Zeichen des Unter-gangs an den rot getränkten Strand spülte.
Miles, ja so hatten sie ihn einst genannt, denn er war ein Zeichen von Macht und Kraft gewesen, ein Mitglied in der Armee der Finsternis.
Wie auch jetzt, als er seine gewaltigen, aber vom Kampfe gezeichneten Flügel ausbreitete und sich in d ie Lüfte erhob. Unter stetigem Heben und Senken schwang er sich immer höher in den Himmel empor, es schien als wolle er seine gefallenen Gefährten suchen, um wieder eins mit ihnen zu sein. Doch es existierte nur noch er.
Starke Winde begannen, ihm um die Nase zu streichen, über seinen Schuppenpan zer zu kriechen, ihn zu bewegen, umzukehren.
Und kurz bevor die Luft zu dünn für ihn wurde , drehte er ab, stellte das Fliegen ein und ließ sich in die Tiefe fallen, auf seine Genossen zu, die mit ihren zerschmetterten Glie-dern den Boden bedeckten. Noch immer den Tribut, den man einst beschloss, ihnen zu zahlen, in den, im roten Licht des Sonnenuntergangs blitzenden, Krallen haltend.
Kurz bevor er drohte in das Schicksal seiner Gefährten zu folgen , beendete er seinen Sturzflug, stieß sich mit seinen muskulösen Hinterbeinen vom zerwühlten Boden ab und flog aufs weite Meer hinaus.
Die Gischt leckte an seinem Bauch, schmeichelte seinen Schuppen, während die Wellen nach ihm langten, mit ihren langen Fingern nach ihm griffen.
Plötzlich spitzte er seine Ohren.
Ein Frauengesang, schöner, reiner und vor allem voller Unschuld, wie es seine erfahrenen Ohren noch nie gehört hatten, lockte ihn immer weiter hinaus aufs offene Meer, bis er auf eine Felsengruppe stieß, die aus den Fluten auf-ragte. Eine einzelne Sirene saß auf dem größten Felsen, in der Form eines Delphins.
Den Blick auf ihn gerichtet , schien sie doch durch ihn hin-durchzusehen, wobei sie ihre klagende Ballade sang und ihr geschmeidiger Fischschwanz dabei das Wasser peitschte.
In den Bann gezogen, wie schon viele Seemänner vor ihm, setzte Miles zu einer Zwischenlandung auf den Felsen an.
Verträumt und in Melancholie treibend bettete er seinen Kopf auf die Vorderfüße und legte seine Schwingen schüt-zend um seinen Körper. So lauschte er dem herrlichen Ge-sang, wohl wissend, dass es nicht mehr lange andauern wür-de, wie alles was er einmal geliebt hatte.
Und tatsächlich, von Neugier gepackt, hielt die Sirene in ihrer Elegie inne und wandte ihm ihr Gesicht zu. Große, runde Augen in den Farben des Meeres blickten in die sei-nen, schmale hellrosa Lippen, die ein leidvolles Lächeln umspielte und lange grünblonde Haare, die ihr von der leichten Meeresbrise ins blasse Gesicht geweht wurden und gleichzeitig ihren nackten Oberkörper vor neugierigen Bli-cken schützten.
„ Wie ist dein Name?“, kam es fast im Flüsterton über ihre Lippen, wobei der Klang ihrer Stimme der Schönheit ihres Gesangs in nichts nachhing.
,,Man nennt mich Miles“, antwortete er und schämte sich dabei, diesen fast schon friedlichen Moment mit seinem rauen Knurren zu durchbrechen. Er senkte den Blick, doch eine schlanke Hand legte sich auf seine Nüstern, wanderte unter seinen mächtigen Kiefer und forderte ihn auf, wieder aufzusehen.
,,Ein Geschöpf wie du verdient einen besseren Namen, ei-nen, der deiner gerecht wird“, gurrte sie und schlug die Au-genlider nieder, um sie gleich darauf wieder aufzuschlagen.
,,Ich werde dich Custos nennen“, beschloss das Meermäd -chen.
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