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Sternenstaub im Kirschbaum

Sternenstaub im Kirschbaum

Titel: Sternenstaub im Kirschbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thariot
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die interessanteren Teile davon. Wie das Fürstentum Hyazinth oder das Königreich Begonien. Auf dem Thron in Lerchensporn Platz zu nehmen, das hätte ihr gefallen können. Irgendwelche unwirschen Einöden würde sie weiterhin den verachtenswerten Landeiern überlassen, denen sowieso jeglicher Stil und Sinn für Anmut fehlte.
    Ihre Macht war kurz davor alles erblassen zu lassen, was je das Licht der Sonne erblickt hatte. Alle anderen Spruchwirker sollten vor Neid platzen, besonders ihre ältere Schwester, dieses falsche Stück. Dafür, dass sie ihr vor Jahren die vorteilhafteste Partie in Begonien weggeschnappt hatte, hasste Cardamine sie für alle Ewigkeiten. Die Zeit der Genugtuung war gekommen! So dachte sie zumindest. Die Weisheit von Generationen weißer Drachen hätte durch ihre Adern strömen können und sie wäre beinahe ewig begehrenswert geblieben. Beinahe.
     
    Kurze Zeit später brodelte es im Kessel vor ihren Augen. Der Trank roch wie eine kräftig gewürzte Hühnersuppe. Und das, obwohl da weder ein Huhn noch sonst ein Flattervieh vor sich hinkochte. Sie schätzte den Geruch nicht sonderlich. Er war so ordinär, was ihrer Meinung nach bald nicht mehr zu ihr passen würde. Aber was machte das schon, für den Lohn hätte das Zeug auch nach dem benutzten Fußbad eines begonischen Bergschafes riechen können.
    Nun fehlte nur noch eine Zutat: Wie einen Schatz aus einer anderen Welt streute sie etwas von dem frischen hyazinthischen Rauschpfeffer auf ein kleines Holzbrett und schnitt ihn andächtig mit ihrem goldenen Kräutermesser in passende Stücke.
    »CARDAMINE!?«, hallte es unwirsch zu ihr in die Turmspitze hinauf.
    »Nicht jetzt«, flüsterte sie und legte ungehalten das Messer ab. Die alte Hexe konnte sie gerade nicht gebrauchen.
    »CARDAMINE SAPOTE VON SCHATTENGRÜN ... ICH STERBE ... MEIN HERZ ... KOMM UND HALTE MEINE HAND!«
    »Ja, Mutter«, sagte Cardamine leise. Es war völlig unwichtig, in welcher Lautstärke sie antwortete. Jeder Stein hörte besser als diese alte Schachtel. In der Regel starb sie zweimal pro Nacht und mindestens einmal besonders dramatisch am frühen Nachmittag. Auch dafür, dass ihre Schwester Clusia sie bei ihr zurückgelassen hatte, würde das Miststück bezahlen.
    »WAS MACHST DU DA OBEN HINTER MEINEM RÜCKEN? IST DAS ETWA SUPPE? ICH HABE SCHON SEIT TAGEN NICHTS MEHR GEGESSEN! WILLST DU DEINE EIGENE MUTTER VERHUNGERN LASSEN?«
    Leider konnte die greise Schreckschraube noch riechen, zumindest besser als sich an die letzte Mahlzeit zu entsinnen, die kaum ein paar Stunden zurücklag. Mit einem Blick, der Gebeine bersten ließ, strafte Cardamine einen ihrer Büttel, der wild gestikulierend die Treppe hinweg stürmte und in der Gesindeküche lautstark ein Nachtmahl beauftragte. Sie nahm erneut die Arbeit mit dem goldenen Kräutermesser auf, ignorierte das fortwährende Gezeter ihrer Mutter und widmete sich voller Inbrunst dem Rauschpfeffer, dessen fein säuerliches Aroma sie sofort für jeden misslichen Moment ihres unerfüllten Lebens entschädigte. Und solche Momente hatte es viele gegeben. Schließlich war sie bereits zweiunddreißig, bis just zu diesem Atemzug, als sie das vermeintlich magische Glück bringende Kraut in den Trank streute. Sie hatte immer gewusst, zu Höherem geboren zu sein.
     
    »Und was ist dann passiert?«, fragte seine Enkeltochter aufmerksam.
    Er schmunzelte, diesen Teil der Geschichte liebte er besonders. »Nun ja Kinder, wie soll man es sagen, magisch war das Zeug schon, nur leider nicht ganz so rein, wie es hätte sein sollen. Die blonde Pflückerin hatte offensichtlich doch nicht völlig unberührt ihre Hände an den Rauschpfeffer gelegt.«
     
    Dann folgte eine Explosion, bei der es Cardamine, ihre Mutter, sieben Hausangestellte und diverse Haustiere samt dem Turm an einer sehr vorteilhaften Lage am See, knapp dreißig Minuten Kutschfahrt von der Regentenstadt Lerchensporn entfernt, in handliche kleine Stücke zerriss. Ein wirklich ärgerliches Malheur. Für das formidable Grundstück hatte sie ihre Unschuld verkauft und eigentlich gehofft, diesen senilen Idioten, mit dem sie viel zu lange verheiratet gewesen war, länger zu überleben.
     
    »Aber Großvater, dann war die böse Hexe doch tot! War es das denn schon?«, fragte das Mädchen überrascht.
    » Nicht ganz.« Er lachte zufrieden. »Da kommt noch mehr. Das war erst der Anfang.«
     
    Wenn ein Soldat blutig im Kampf fiel oder eine alte Frau friedlich im Schlaf verstarb, waren beide tot.

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