Sternenteufel
Gott – kein Herrscher, keine Macht – gewesen, die Gutes für die Menschheit getan hatte.
Sie beobachtete Stans, wie er immer weiter vorwärts kroch, und sehnte sich danach, ihn zurückzurufen. Aber sie sah auch, wie angespannt er war, und daß sie ihn keinesfalls ablenken durfte, obgleich die Zungenbrücke, so weit der Schein der Fackel reichte, durchaus stabil zu sein schien.
Stans hielt an und blickte über die Schulter zu ihr zurück.
»Ich glaube, wir können sie getrost überqueren«, rief er. Von unten erschallte ein Echo und verzerrte seine Worte so sehr, als kämen sie aus der Kehle eines riesenhaften Tieres. »Sie scheint ganz über die Kluft zu führen. Warte, ich schaue, ob ich das andere Ende sehen kann.«
»Ist gut.« Elossa kniete sich unmittelbar am Rand des Gesichts nieder und blickte auf ihn, während er sich ohne Zögern noch ein wenig weiterbegab. Die Dunkelheit verdichtete sich um sie, als die Fackel sich immer mehr entfernte. Sie konnte die Einzelheiten der Zungenbrücke kaum erkennen, doch sehr wohl sehen, daß sie dort, wo Stans sich befand, so schmal wurde, daß er kaum noch Platz für beide Knie nebeneinander hatte.
Nur ganz langsam kam der Raski jetzt voran. Er hielt die Fackel so, daß er sehen konnte, was noch vor ihm lag, während die andere Hand sich um den Rand der Brücke klammerte, zweifellos aus Angst, denn die Gefahr abzustürzen war bestimmt groß. Und dann mußte er sogar die Beine links und rechts hinunterhängen lassen, als ritte er, denn die Zunge war dort nicht breiter als sein Körper.
Nun arbeitete er sich mit den Händen vorwärts und zog sein Gewicht nach. Elossa wurde sich gar nicht bewußt, daß sie eine Faust so fest an die Lippen preßte, daß die Zähne schmerzten. Immer noch zeigte die Fackel den anderen Kluftrand nicht. Kaum auszudenken, was passierte, wenn die Zungenspitze sich plötzlich nach unten neigte!
Die Bosheit, die das aus Stein gehauene Gesicht ausdrückte, versprach das Schlimmste für den, der sich ihm anvertraute. Wie gern sie den Raski zurückgerufen hätte! Aber jeder plötzliche Ruf würde ihn vielleicht so sehr erschrecken, daß er das Gleichgewicht verlor.
Sie blinzelte, wagte kaum daran zu glauben, daß sie tatsächlich im Fackelschein einen der Zunge entgegenragenden Vorsprung von der anderen Seite sah. Aber befand sich vielleicht zwischen den beiden ein Zwischenraum, der nicht zu überbrücken war? Oder endete die Zungenspitze möglicherweise direkt auf diesem Vorsprung? Es war zu weit und das Licht durch die Entfernung zu schwach, als daß sie sich hätte vergewissern können. Ihr Herz klopfte wild. Sie richtete sich auf den Knien höher, um dadurch besser sehen zu können.
Stans machte eine ruckartige Bewegung – er fiel! Elossas Atem endete in einem Stöhnen. Nein! Er stand auf! Und jetzt schwang er die Fackel wie die Standarte einer siegreichen Armee.
Er machte sich auf den Rückweg, wie reitend, mit den Beinen in den Abgrund hängend das erste Stück, dann wieder auf den Knien. Sie hielt den Atem an und beobachtete ihn angespannt. Erst als er sich wieder erhob und die letzten Schritte zu den Lippen der gräßlichen Fratze aufrecht auf sie zukam, holte sie tief Luft.
»Dem Ende zu ist die Brücke sehr schmal …« Er atmete keuchend. Im Fackelschein sah sie die dicken Schweißtropfen auf seiner Stirn. Es war bestimmt nicht leicht für ihn gewesen. »Zunge und Vorsprung treffen knapp zusammen. Es ist nicht ungefährlich, aber eine Überquerung ist möglich.«
»Wie du bewiesen hast.« Sie bemühte sich gleichmütig dreinzusehen. Es gab keinen anderen Weg als diesen hier. Sie war wohl vertraut mit schmalen Bergpfaden, wo man die größte Vorsicht walten lassen mußte und das Leben von Geschicklichkeit und Körperbeherrschung abhing. Doch die schlimmsten davon erschienen ihr nun wie ein Kinderspiel, verglichen mit dem, was vor ihr lag. Sie mußte ihre Furcht ausschalten und mit ihr den Abscheu vor der Form ihres einzigen Fluchtwegs. Nach ihrem Empfinden strahlte von dieser Fratze eine solche Bösartigkeit aus, daß alles in ihr sich dagegen sträubte, sich dieser Zunge anzuvertrauen. Sie mußte sich immer wieder sagen, daß das Gesicht aus Stein war, daß es kein eigenes Leben besaß, daß es lediglich diese Illusion zu erwecken vermochte, wenn man dafür empfänglich war, wenn man es fürchtete. Trotzdem regte sich aus dem Zwang, dieses Ding zu berühren, ein Übelkeit erregender Haß in ihr.
Ein Bild quälte sie, eine
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