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Sternenzitadelle

Sternenzitadelle

Titel: Sternenzitadelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Bordage
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übrige Zeit verbrachten sie nackt in ihren Kojen liegend; unbeweglich tauchten sie dann in mentale Strömungen ein wie in ein wohltuendes, heilendes Gewässer.
    Doch auf der Erde würden sie endlich frei atmen können, sich ohne Beschränkungen lieben können, laufen, schreien, schwitzen können. Ihre nackten Füße würden über grüne Gräser laufen, von denen die Kaste der Erinnerungshüter einige kostbare Exemplare im Museum des Ursprungs aufbewahrte. Der Wind würde ihre Körper liebkosen, ebenso die Strahlen der Sonne.
    Automatisch stimmte Ghë die Hymne der Rückkehr stumm an, rezitierte den Text, den sie so oft gesungen hatte.
    »Wir verlassen dich, o Erde, für zehntausend Jahre, aber nie werden wir dich vergessen. Auch das sanfte Säuseln des Windes in den Blättern der Bäume werden wir nicht vergessen noch das weiche kühle Gras unter unseren Füßen oder die Schönheit der Morgen- und der Abenddämmerung noch den Gesang der Quellen und Wasserfälle, das Grollen der Gewitter, das Toben der Wellen, die Hitze des Sommers und die Kälte des Winters …
    Wir verlassen dich, o Erde, weil die Krankheit uns erwählt hat und weil wir nicht wollen, dass sie deine anderen Kinder erwählt …
    Zehntausend Jahre lang wird das All unsere Heimat sein, wird El Guazer unsere Stadt sein, das Umherirren unsere Lebensweise sein …Währenddessen werden wir die Hoffnung nie verlieren …
    Eines Tages kommen wir zu dir zurück, frei und gesund, so wie Kinder zu ihrer Mutter zurückkehren … Die zwölf
Magnet-Söhne, die zwölf Erwählten deines Herzens werden dich von dem Übel befreien, und wir werden dich bis ans Ende aller Zeiten lieben … Dies ist unser Schicksal, Dank gebührt unserem Schutzherrn El Guazer … Gesegnet sei sein Name in alle Ewigkeit …
    Wie Blätter oder Gras, eine Morgen- oder Abenddämmerung, Wasserfälle, Wellen, Sommer oder Winter aussehen, das wusste Ghë nicht. Doch sie war überzeugt, dass ein Leben auf der Erde in jedem Fall einer Existenz in dem El Guazers vorzuziehen sei.
    Ghë litt wie alle an Bord der Raumschiffe lebenden Menschen an einer eingeschränkten Sehfähigkeit, weil sie fast von ständiger Dunkelheit umgeben waren. Denn die Kaste der Erinnerungshüter behauptete, dass das Beleuchtungssystem in El Guazer im siebten Jahrhundert der Irrfahrt, als der Zug noch nicht einmal die Milchstraße verlassen hatte, zu funktionieren aufhörte. Nur einige Lichtquellen des Raumschiffs an der Spitze des Zuges – wo die Herrschenden und die Techniker lebten – blieben weiter intakt.
    Die bevorstehende Rückkehr zur Erde erfüllte Ghë mit einer derart ausgelassenen Freude, dass sie wieder zu schwitzen begann. Sie spürte den Luftzug des Ventilators auf ihrem kahlen Schädel und wusste, dass sie nicht die Einzige war, die so überschwänglich auf die Nachricht reagierte. Denn Tausende Körper strahlten so viel Hitze aus, dass sich die Ventilatoren automatisch eingeschaltet hatten. Sie legte sich wieder in ihre Koje und genoss die kühle Luft auf ihrem Körper, ein Vorgeschmack des Windes auf der Erde, den sie sich stärker, aber auch sinnlicher vorstellte. Ihre Haut war außerordentlich empfindlich, weil sie völlig haarlos war. Sie hatte gehört, dass auf dem Kopf und an anderen Körperstellen ihrer Vorfahren Haare gewachsen
sein sollten, eine Vorstellung, die sie ebenso lächerlich fand wie die Legende über die Orationen des Absoluten.
    Schließlich stand sie auf und wählte unter den etwa zehn Kleidern, die ihre Mutter ihr geschenkt hatte, eine schwarze, eng an der Taille anliegende Robe, in die sie langsam hineinschlüpfte, um jeden Schweißausbruch zu vermeiden. Dann ging sie aus ihrer Kabine und über den engen Flur, der auf den zentralen Platz der siebten Ebene des Raumschiffs führte.
     
    Menschenmassen strömten aus allen Richtungen schweigend zum Großen Saal. Zwar war das gesprochene Wort in der Öffentlichkeit nicht ausdrücklich verboten, aber die Kaste der Herrschenden empfahl nachdrücklich den telepathischen Gedankenaustausch, um Sauerstoff zu sparen. Während Ghë unterwegs war, lauschte sie aufmerksam, ob nicht einer ihrer Mitmenschen in Kontakt mit ihr treten wolle. Seit einiger Zeit hatte sie genau dieses Gefühl, aber jedes Mal wenn sie ihren Geist öffnete, zog der andere sich zurück, wie erschrocken über seine Kühnheit.
    Ein paar SALG-Tage hatte sie geglaubt, unter Paranoia zu leiden – eine gefürchtete Erkrankung an Bord von El Guazer  – und hatte den

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