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Sternhagelgluecklich

Sternhagelgluecklich

Titel: Sternhagelgluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
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dem Altar Platz und streicht den Bogen über die Saite. Quietschend und stotternd entringt sie dem Instrument einzelne Töne. Es klingt zum Gotterbarmen – leider kann man es nicht anders sagen. Nach einer Weile fängt sie an zu singen, was ein wenig schöner klingt, aber wiederum nicht zur instrumentalen Untermalung passen will. Um mich herum sehe ich nur ernsthafte Gesichter, irgendwo auf einer Skala zwischen tapfer und ergriffen.
    Ich muss an Hape Kerkeling denken, wie er mit seinem legendären »Hurz«-Auftritt ein bieder-beflissenes Konzertpublikum genarrt hat. Seiher bin ich in solchen Situationen doppelt misstrauisch, ob sich nicht irgendwo eine versteckte Kamera befindet. Ich sehe mir die Frau noch einmal genauer an. Nein, das ist nicht Hape Kerkeling in Verkleidung. Ich bin aber nicht sicher, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist.
    Irgendwann ist es vorbei.
    »Es hat mich viel Überwindung gekostet, das für euch zu spielen«, eröffnet sie ihren Vortrag, »und ich weiß selbst, dass ich noch nicht so gut bin.«
    Aufgrund ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit schäme ich mich sofort für meine gehässigen Gedanken. (Diese hatten zum Beispiel von jaulenden Hunden und rostigen Türscharnieren gehandelt, denen ich lieber zugehört hätte als dieser Darbietung.)
    »Aber ich wollte euch halt zeigen, dass es immer schwierig ist, mit etwas anzufangen und etwas neu zu lernen«, fährt die Frau mit sanfter Stimme fort. »So wie ihr euch halt entschlossen habt, meditieren zu lernen.«
    Ich versuche, meine bösen Gedanken wegzuschieben und mich auf die freundliche Atmosphäre des Anfangens einzulassen. Aber sie macht es einem nicht leicht: Sie ist nicht die beste Rednerin und spickt ihren ohnehin oft wirren Vortrag mit einem »halt« nach dem anderen. »Es gibt halt die innere Welt und die äußere Welt, sag ich mal so.« Oder: »Es ist halt besser, wenn man sich halt immer für ein gesundes Mittelmaß entscheidet und die Extreme halt meidet.« Viel schlimmer finde ich jedoch, dass sie glaubt zu wissen, mit welchen Motiven die Menschen hierhergekommen sind: »Ihr seid auch Suchende und habt bestimmt Dinge in der äußeren Welt erlebt, die euch halt enttäuscht haben. Habt euch Dinge gekauft, die euch glücklich gemacht haben, und plötzlich sind die kaputtgegangen, oder ihr seid verlassen worden.«
    Hey, Schwester, schließ mal nicht von dir auf andere, bin ich versucht, nach vorne zu rufen – frage mich aber gleichzeitig, woher sie das mit meiner Kaffeemaschine weiß, die seit einigen Tagen statt Kaffee nur noch röchelnde Geräusche von sich gibt.
    Mein erster Meditationsworkshop hatte sich im Vergleich zu diesem hier angenehm technisch angefühlt. Dort hatte es kein Bild von einem Guru gegeben, der einen durch halb geöffnete Lider beobachtete – und niemand hatte mir eine unglückliche Liebe, Einsamkeit oder ein unerfülltes Leben untergeschoben. Mir war einfach erklärt worden, wie Meditation funktioniert. Etwas über Atemtechnik und Sitzhaltung zu lernen, fand ich deutlich angenehmer, als der Lebensgeschichte der Lehrerin zu lauschen.
    Nach einem endlos lange mäandernden Monolog ohne rechten Inhalt kommen wir nach einer geschlagenen Stunde endlich zur ersten Meditationsübung. Zum Glück sollen wir uns nicht auf das Bild des Gurus konzentrieren, sondern auf eine der Kerzenflammen daneben. Die Meditation klappt ganz gut, aber nach einer Weile sind meine Gedanken doch wieder bei dem Artikel über Karl-Theodor zu Guttenberg, an dem ich gerade arbeite. Das Frustrierende: Wie auch schon zu Hause merke ich erst, dass meine Gedanken abschweifen, nachdem sie dies schon minutenlang getan haben.
    Nach der kurzen Übung verfällt die Gastgeberin wieder in ihre Suada. Sie beginnt, von der Reaktion ihrer Familie zu berichten, die anfangs »halt skeptisch war und so«. Ich schleiche mich so unauffällig wie möglich aus dem Raum. Im Treppenhaus ziehe ich hastig meine Schuhe an und blicke dabei nervös zur Tür. Ich habe Angst, jemand könnte mir nacheilen und mich nach dem Grund meines Verschwindens fragen.
    Zwei Häuser weiter mache ich in einer kleinen Dönerbude halt, in der Fußball läuft. Ich sehe zu dem Bildschirm hinauf, der unter der Decke hängt, frage den Wirt, wie es steht, und trinke ein Bier. Dann esse ich einen Döner und trinke noch eins. Vielleicht nicht der nachhaltigste und tiefgründigste Weg zur Erleuchtung – aber hier fühle ich mich zumindest für den Moment glücklicher als

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