Sternhagelgluecklich
selbst zu bestimmen. »Manche Leute sagen dann so etwas wie: Vielleicht hast du dir den Krebs ja unbewusst gewünscht … oder einfach nur nicht positiv genug gedacht.« Er sieht ins Auditorium. »Klar, so was kann man sich zu Herzen nehmen. Man kann solchen Leuten aber auch ruhig mal voll eins in die Fresse schlagen.«
Dass er seinen Vortrag nicht komplett standardisiert und auswendig gelernt runterspult, merkt man unter anderem daran, dass er als bisher Einziger an mehreren Stellen auf seine Vorredner Bezug nimmt – wenn auch nicht immer voller Respekt und Demut. So macht er sich beispielsweise auf freundliche Art über einen Professor lustig, der einen großen Teil seines Vortrags darauf verwendete, stolz die großen Firmen aufzuzählen, die er bereits beraten hat.
In der Mittagspause sehe ich mir die rund dreihundert Teilnehmer des Glückssymposiums etwas genauer an. Die meisten von ihnen, so habe ich der Teilnehmerliste entnommen, sind Psychotherapeuten, Coachs oder Lehrer. Die Frauen tragen überdurchschnittlich oft asymmetrische rotgefärbte Kurzhaarfrisuren und Doppelnamen auf den kleinen Namensschildchen, die am Morgen zum Anstecken verteilt wurden. An den Männern hingegen fällt überdurchschnittlich langes, wenn auch oft schon schütteres Haar auf. Viele tragen eine Art Uniform aus Gesundheitsschuhen, Cordhose und einem Sakko mit Lederflicken an den Ellbogen. Die wenigen Raucher drehen selbst, und jetzt zur Mittagszeit werden häufig Edelstahl-Thermoskannen mit Tee sowie Tupperschüsseln mit selbst geschmierten Stullen ausgepackt.
Nicht bei allen Teilnehmern des Symposiums kommt Hirschhausens Auftritt gut an. »Unwissenschaftlich«, murren einige, andere beklagen, die »angegriffenen« Vorredner hätten die Gelegenheit zur »Verteidigung« bekommen müssen. Ich merke: Auch Glück ist eine ernste Sache, und dabei hat Humor für viele nicht das Geringste verloren. Ich muss an meine Gruppe von internationalen Lachyogis in Bangalore denken. Obwohl wir ständig lachten, schien mir doch der Großteil der Gruppe von einer argen Ernsthaftigkeit – und beinahe von Humorfeindlichkeit durchdrungen. Auch auf dem Glückssymposium in Heidelberg möchte man manche der kopfschüttelnd Schimpfenden kurz beiseitenehmen und ihnen freundlich mit auf den Weg geben: »Macht euch mal locker!« Aber ich lasse es bleiben und sehe mich stattdessen weiter um.
Im Foyer und auf dem Flur haben sich mehrere Infostände, Büchertische und eine Glückspostkartenverkäuferin ausgebreitet. Ein Mann will eine »Glückswerkstatt« eröffnen. Was genau er anbietet, ist nicht klar, denn die Leute sollen selbst auf Karteikarten schreiben, was sie in einer »Glückswerkstatt« machen und lernen wollen, und dies an eine Stellwand pinnen. Auch ein Weg zum Glück, denke ich mir: einfach andere die gedankliche Arbeit machen lassen.
Zur Strafe für meine Gehässigkeit stolpere ich beinahe über eine Acht aus Schnüren, die jemand auf dem Boden festgeklebt hat. An den Schnüren kleben Zettel, auf denen »Rückzug«, »Wut«, »Enttäuschung« und »Frust« steht. Leider ist niemand da, der mir erklären kann, was es mit diesem Kunstwerk auf sich hat. Wer auch immer es kreiert hat, hat aber einen Stapel Broschüren dagelassen. Beim »Institut SAM « kann ich mich mit diesen Broschüren zu einem Workshop namens – Achtung, festhalten! – »acht-S AM ©« anmelden. Die Wollschnurästhetik schreckt mich jedoch ab.
Lieber sehe ich mich im Foyer noch ein wenig auf den zahlreichen Büchertischen um. Auch hier viel Achtsam- und Betulichkeit. Vor allem das »innere Kind« scheint gerade ein Trendthema zu sein, denn es begegnet mir immer wieder: »Das Arbeitsbuch zur Aussöhnung mit dem inneren Kind« liegt da, unweit des Hörbuchs »Dem inneren Kind begegnen – Ressourcenorientierte Übungen« und weiterer Titel, die zumindest mein inneres Kind mit den Augen rollen lassen. Die Zunge streckt es schließlich beim Autorentext des Buchs »Das innere Kind umarmen« heraus: Die Verfasserin »weiß seit ihrer Kindheit um ihre mediale Begabung und ist bekannt durch Auftritte im TV «, kann man unter ihrem Foto lesen. Wenn ein Medium nicht nur früh entdeckt, dass es ein Medium ist, sondern dies dann auch noch unter »Beweis« stellt, indem es damit in die Medien geht, schließt sich gewissermaßen ein Kreis.
An einem Stand brummt und blinkt eine CD -Brennmaschine etwa in der Größe einer großen Stereoanlage. Hier werden die Audio- und Videomitschnitte
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