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Sternhagelgluecklich

Sternhagelgluecklich

Titel: Sternhagelgluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
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keine Chance habe, den Zettel gleich wieder zu verlieren, rufe ich diesmal direkt von der Kreuzung aus an. Es meldet sich Jeanette, Sängerin, Komponistin und Gesangslehrerin. Wir verabreden eine Probestunde für zwei Tage später, und sie beschreibt mir, wo sie wohnt.
    Die Wohnung der Gesangslehrerin liegt zentral, in einem Hinterhaus, und wäre normalerweise wunderbar ruhig – wenn nicht der Mieter, der in der Wohnung darüber wohnt, in der Lautstärke eines Düsentriebwerks Gitarrenrock von Mötley Crüe und Led Zeppelin hörte. »O Mann, der Typ nervt«, sagt Jeanette. »Wenn er wenigstens einen guten Musikgeschmack hätte!«
    Ich nehme auf dem Sofa Platz und versuche, Verständnis für den Nachbarn aufzubringen: Vielleicht versucht er durch das Rock-Inferno einfach, das jämmerliche Krächzen von Gesangsschülern wie mir auszublenden. Denn schließlich sind die Wände sicherlich nicht nur in eine Richtung schalldurchlässig.
    Als Erstes will die Gesangslehrerin wissen, wann, wie oft und wie ambitioniert ich singe. Ich sage, dass sich meine Vorkenntnisse auf ein paar betrunkene Abende in Karaokebars und das Playstation-Spiel »Singstar« beschränken. Früher habe ich noch öfter für mich alleine Gitarre gespielt und dazu gesungen. Aber irgendwann musste ich mir eingestehen, dass meine Fähigkeiten allenfalls dazu reichten, Frauen zu verjagen – aber niemals, um sie herumzukriegen. Man darf gar nicht unterschätzen, wie sehr das Leben eines jungen Mannes einzig und allein auf diese Frage ausgerichtet ist! Also schwand meine Motivation, Akkorde zu üben und »Nightswimming« von R.E.M. fehlerfrei zu lernen, rapide.
    Schwule Vögel in Australien
    »Dann arbeiten wir zuerst mal an der Erweiterung deines Tonumfangs und an der Stabilität deiner Stimme«, schlägt Jeanette vor und setzt sich an das E-Piano, auf dem ein halbes Dutzend Fotos ihres kleinen Sohnes steht. Der ist offensichtlich gerade in die Schule gekommen.
    Wir machen Übungen, bei denen ich zuerst Töne wie ein Rennauto mache und dabei langsam in der Tonhöhe nach oben gehe. »Prrrm-Prrrm-prrm-prrrm-prrrm« (tief). »Prrrm-Prrrm-prrm-prrrm-prrrm« (weniger tief). »Prrrm-Prrrm-prrm-prrrm-prrrm« (mittelhoch). »Prrrm-prrrch-…- kieks !« Relativ schnell ist Schluss, und meine Stimme stockt.
    »Da müsstest du jetzt in die Kopfstimme gehen«, sagt Jeanette, die die Töne mit ihrem elektrischen Klavier vorgegeben hat. Sie sagt das ganz sachlich, trotzdem fühlt es sich komisch an, vor einer fremden Person laut zu singen – von Rennautogeräuschen ganz zu schweigen.
    In der Schule mussten wir im Musikunterricht einzeln vor der ganzen Klasse vorsingen – das war mir damals schon unangenehm. Das Lied handelte vom Kookaburra, einem australischen Vogel. Der Text war englisch und vermutlich über ein halbes Jahrhundert alt. An einer Stelle wurde besungen, wie »gay« – also fröhlich – das Leben des Kookaburra war. Wir konnten zwar damals noch so gut wie kein Englisch. Aber Dimitri, der frühreife Griechenjunge, der damals schon rauchte, Heavy Metal hörte und sich rasierte, raunte uns aus der letzten Bank zu, dass »gay« eigentlich – verschwörerische Pause – »schwul« bedeute.
    Ich wiederum hatte damals noch keine richtige Vorstellung, was »schwul« genau bedeutete – aber mitten in den hormonellen Wirrungen des allerbesten Stimmbruchs vor der ganzen Klasse ein Lied singen zu müssen, das offenbar auch noch von einem homosexuellen Vogel handelte, war definitiv eines der schlimmsten Erlebnisse meiner Schulzeit.
    Prompt bekomme ich dieselben schweißnassen Hände wie damals, als ich nach den Rennautogeräuschen nun richtig singen soll. Wieder werden die Töne nach und nach immer höher, diesmal in einer kleinen Fünftonmelodie von »Ning-Ning-Ning-Ning-Ning«. Wieder bricht irgendwann die Stimme weg. Glücklich durch Gesang? Eher verkrampft-beschämt, würde ich sagen.
    Aber Jeanette hat gute Tipps: den Mund weiter öffnen, mehr Spannung im Zwerchfell erzeugen, an den entscheidenden Stellen leiser singen: »Denk eher an ein Seufzen!«
    Nach und nach klappt es besser. Als es darum geht, möglichst lange am Stück zu singen, sich also den Atem gut einzuteilen, gibt es das erste Lob. Vielleicht haben sich die Ausdauerübungen mit dem Personal Trainer Anfang des Jahres also doch ausgezahlt, und meine Lunge ist besser in Form, als ich dachte. Trotzdem – ein richtiger Spaß ist das hier nicht. Eher harte Arbeit. Aber das ist beim Lernen einer

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