Sternhagelgluecklich
entscheiden, auch wenn sie durch die zeitlichen Abstände gar nicht nötig wäre: Zeit ist für uns eine schwer vorstellbare Dimension. Wenn wir uns etwas in der Zukunft vorstellen, nehmen wir automatisch die Gegenwart als Ausgangspunkt und justieren dann nach Gutdünken nach. Deshalb fällt es uns auch so schwer, uns nach einem üppigen Essen vorzustellen, dass wir je wieder hungrig werden. Oder wir halten es als Studenten, die gerade in die Großstadt gezogen sind, für völlig ausgeschlossen, je wieder auf dem Land leben zu wollen.
Zehn kleine Glücksmomente
• Nach einer langen Reise zu Hause ankommen
• Gemüse aus dem eigenen Garten essen – auch wenn es nicht so makellos ist wie das aus dem Supermarkt
• Abends in ein Bett steigen, von dem man vergessen hat, dass man es am Morgen frisch bezogen hat
• Der Geruch eines rauchenden Grills
• Einen freien Platz in einem voll besetzten Biergarten finden
• Etwas Zerbrechliches, das einem herunterfällt, gerade noch mit dem Fuß auffangen – oder zumindest ausreichend bremsen können
• Merken, dass man den Geldbeutel doch nicht verloren, sondern nur vorübergehend verlegt hat
• Die Sicherheitskontrolle am Flughafen passieren – ohne Piepsen und ohne langsame Leute vor einem
• Von einem Katzenbaby die Hand abgeschleckt bekommen
• Der erste Tag im Frühling, an dem man ohne Jacke aus dem Haus gehen kann
Juli
Was man auf einem Glückskongress erfährt
Was Durchhaltevermögen mit Zufriedenheit zu tun hat
Warum Gesang sowohl glücklich als auch
unglücklich machen kann
Seitdem weiß ich, es gibt keinen Ort namens Ruhe.
Es gibt nur Wege zu gehen – und gute Schuhe.
Die Hamburger Band Stella in ihrem Lied »Americ«
Das Erste, was einem an Heidelberg auffällt, sind die vielen Porsches in den verschlafenen Straßen. Ob das der Grund ist, warum die Stadt als Austragungsort für das 2. Symposium für Positive Psychologie unter dem Titel »Wege zu Glück und Wohlbefinden« ausgewählt wurde? Auf der Zugfahrt nach Heidelberg habe ich noch in Martin Seligmans Buch »Authentic Happiness« gelesen, gewissermaßen dem Standardwerk der sogenannten Positiven Psychologie. Die Forschungsrichtung heißt so, weil Seligman – damals Präsident des größten US-Psychologen-Verbandes, der American Psychology Association – 1998 erkannte, dass sich die Psychologie zu einseitig mit Krankheiten und Störungen befasste. Man betrachte, so Seligman, nur die Depressiven, die Schizophrenen, die Unglücklichen, anstatt sich vielmehr damit auseinanderzusetzen, warum diejenigen, die stabil, gesund und glücklich waren, eben genau das waren: stabil, gesund und glücklich.
Gemeinsam mit der Psychologin Barbara Fredrickson und dem Flow-Forscher Mihaly Csikszentmihalyi begründete er in den folgenden Jahren die Positive Psychologie und erntete dafür viel Zuspruch – aber auch Kritik. So bemängeln einige Forscher zum Beispiel die wissenschaftliche Methodik der Positiven Psychologie und werten sie eher als eine Bewegung denn als seriöse Forschungsrichtung. 32
Ich habe mich auf den Weg nach Heidelberg gemacht, weil ich mehr über diese wissenschaftliche Seite des Glücks erfahren will, über die Positive Psychologie und ihre neuesten Erkenntnisse, selbst wenn sie umstritten sind. Außerdem freue ich mich darauf, Martin Seligman einmal live zu erleben, ebenso wie die anderen Teilnehmer, die ich mir als eine Mischung aus Glücksjägern, Psychologen und Esoterikern vorstelle.
Angst essen Seele auf
Auf der Reise nach Heidelberg erreicht mich jedoch eine Nachricht, die gewissermaßen das schicksalshaft gerechte Gegenstück zu meinem Lottogewinn darstellt: Mein Steuerberater informiert mich darüber, dass das Finanzamt mich für eine Betriebsprüfung ausgewählt hat. Dass das »bei Freiberuflern wie Ihnen eigentlich nur sehr selten« vorkommt, versöhnt mich ebenso wenig wie die Tatsache, dass ich eigentlich nichts auf dem Kerbholz habe. Eigentlich. Ein wenig ist es wie mit einem Polizeifahrzeug, das beim Autofahren plötzlich im Rückspiegel auftaucht. Selbst wenn man kein volltrunkener Bankräuber ist, erschrickt man. Prüft Tacho, Gurt und Licht und versucht, sich zu erinnern, wo der Verbandskasten ist und ob man letztes Mal im Baumarkt diese leuchtroten Warnwesten für einen Euro mitgenommen hat. Fast niemand ist gegen dieses Instant-schlechte-Gewissen immun.
Meine Reaktion auf die angekündigte Steuerprüfung speist sich aus einem ähnlichen Grundgefühl.
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