Sternhagelgluecklich
»Irgendwas finden die immer … immer … immer«, hallt es durch meinen Kopf, und ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie ein behelmtes Sondereinsatzkommando die Wohnungstür aufbricht, eine Rauchbombe wirft und jedes einzelne Buch aus den Regalen meines Arbeitszimmers zieht. Irgendwann hält ein Mann im schwarzen Ledermantel mir eines davon unter die Nase und sagt mit schneidender Stimme: »Soso … Harry Potter also. Das ist aber keine Fachliteratur, mein Herr! Außerdem haben wir auf Ihrem Computer, den Sie angeblich als Arbeitsgerät benutzen, auch private E-Mails gefunden … Das! Wird! Folgen! Haben! « Kurzum: Als ich in meinem kleinen Heidelberger Hotelzimmer sitze, vor dem die Porschefahrer ihre Runden drehen, habe ich die Hosen voll. Gleichzeitig spüre ich neben Angst noch eine weitere wichtige Zutat zum Unglücklichsein: Machtlosigkeit. Je weniger ein Mensch glaubt, über sein Schicksal selbst bestimmen zu können, umso stärker ist erwiesenermaßen seine Neigung zu depressiven Zuständen.
Mein erster Gedanke ist: »Erst mal einen Schnaps.« Doch sich bereits nachmittags an den Tresen einer Hotelbar zu setzen, macht alles, aber ganz bestimmt nicht glücklich. Ich bin froh, dass ich meine Laufschuhe mitgenommen habe. Vielleicht bringt mich eine Joggingrunde an der frischen Luft des Neckarufers auf positivere Gedanken. Doch selbst die malerische Szenerie und die Sonne auf dem Wasser und auf den umliegenden Hügeln können die dunklen Wolken in meinem Kopf nicht vertreiben. Ein Gewitter aus horrenden Nachzahlungen, aus jahrelangen Zinsen und Zinsenszinsen türmt sich auf. Schließlich soll ein Zeitraum geprüft werden, der schon so weit zurückliegt, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann.
Ich versuche, mich zu beruhigen, indem ich mir sage, dass diese Gefühle ganz normal sind. Denn nicht nur das Gefühl von Ohnmacht macht uns unglücklich. Fast alle Menschen lassen sich von einem möglichen Verlust auch viel stärker negativ beeinflussen, als sie von Gewinnen in gleicher Höhe positiv gestimmt werden. Die Wissenschaft nennt dieses Phänomen »loss aversion«. 33 Sie führt nicht nur dazu, dass der durchschnittliche Anleger seine fallenden Aktien zu lange hält und steigende zu früh verkauft – aus Angst, Geld zu verlieren –, sondern auch zu Redewendungen wie »Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach«.
Wie schlecht wir es ertragen können, etwas aufgeben zu müssen, das wir besitzen, wird durch einen Versuch deutlich, den die Wirtschaftsforscher Daniel Kahneman, Jack L. Knetsch und Richard Thaler durchgeführt haben: Sie gaben einer Gruppe von Testpersonen – wie beinahe immer in solchen Fällen Studenten ihrer Universität – jeweils einen Kaffeebecher, der im Laden sechs Dollar kostete. Die andere zufällig ausgewählte Gruppe bekam keinen. Nun sollten die Studenten, die einen Becher bekommen hatten, diesen an diejenigen verkaufen, die keinen hatten. Der Preis war dabei Verhandlungssache. Das überraschende Ergebnis: Nur sehr selten kam eine Transaktion zustande – denn in den meisten Fällen konnten sich die Studenten auf keinen Preis einigen. Während die Becherbesitzer im Schnitt 5,25 Dollar haben wollten, waren die potenziellen Käufer im Durchschnitt nur bereit, zwischen 2,25 und 2,75 Dollar zu bezahlen.
Die Becherlosen erkannten also, dass sie relativ gut ohne leben konnten. Wer aber den Becher erst einmal in Händen hielt, wollte sich nur ungern wieder davon trennen. 34 Dieses Ergebnis ließ sich mit unterschiedlichen Gütern wiederholen, hatte also nichts damit zu tun, ob jemand Kaffeeliebhaber oder Wassertrinker war. Lediglich bei winzigen Geldbeträgen setzt die Angst vor Verlusten irgendwann aus. Im Schnitt, so stellten die Forscher fest, fürchten wir einen Verlust ungefähr doppelt so stark, wie wir uns über einen Gewinn freuen. Mit anderen Worten: Eine Steuernachzahlung von dreitausend Euro fühlt sich in etwa so schlimm an, wie sich ein Lottogewinn von sechstausend Euro gut anfühlt.
Springt, wenn ihr glücklich seid
Leider verschwindet meine negative Stimmung nicht dadurch, dass ich sie mir wissenschaftlich erklären kann. Ich laufe am Neckar entlang und brüte. Ich drehe meine Musik lauter und klicke von Lied zu Lied, um mich in eine bessere Stimmung zu bringen, aber weder die fröhlichen Strandhymnen der Beach Boys noch wütender Punk von Black Flag funktioniert. Da fällt mir Ashrita Furman ein, der Weltrekordsammler, den ich in New York
Weitere Kostenlose Bücher