Sternhagelgluecklich
Sprache ähnlich: Das Lernen selbst ist kein Vergnügen, aber sich später in einem fremden Land verständigen zu können, die Menschen, Zeitungsschlagzeilen und Plakate zu verstehen – das ist großartig! Vielleicht ist es beim Singen auch so: Nicht der Weg ist das Ziel, wie es so oft heißt – nein, das Ziel ist das Ziel.
Am Ende der Stunde soll ich mir noch ein Lied aussuchen, das ich singen möchte. Alles, aber bitte nicht den Kookaburra, denke ich mir und entscheide mich für »Where Is My Mind?« von den Pixies. »Nicht ganz einfach«, sagt Jeanette, klappt ihren Computer auf und sucht bei YouTube nach einer Karaokeversion des Stücks. »Früher musste ich immer alles am Klavier begleiten«, sagt sie. »Was vor allem schwierig ist, wenn man die Lieder nicht kennt, die die Leute singen wollen. Dank YouTube ist das jetzt ganz einfach.«
Ich fange an zu singen und muss plötzlich nicht mehr an das benotete Vorsingen im Unterricht denken, sondern an das Finale des Films »Fight Club«, in dem zu diesem Lied Wolkenkratzer gesprengt werden. Und an das Festival, auf dem ich das Lied zum ersten Mal live gehört habe. Ich klettere nicht auf das Sofa der Gesangslehrerin und greife mir auch nicht selbstvergessen die Stehlampe als Mikrofonersatz – aber ich gerate heute zum ersten Mal in einen Flow-Zustand. Ich höre auf, mich selbst zu beobachten, sondern höre einfach die Musik und singe mit – und es klappt ziemlich gut. Für meine bescheidenen Verhältnisse.
»Du bist warmgesungen und hast auch ein paar von den Sachen angewendet, die ich dir vorher gezeigt habe«, sagt Jeanette, als ich fertig bin. So galant sie vorhin über mein Gekrächze hinweggesehen hat, so wenig ist sie nun von meiner – wie ich finde deutlich besseren – Leistung beeindruckt. Aber die Arme muss vermutlich den ganzen Tag Kookaburra-geschädigten Hobbysängern wie mir zuhören. Da bleibt nicht mehr viel Enthusiasmus übrig. Ich bezahle die Probestunde und mache mich auf den Weg nach Hause.
Ich weiß nicht, ob mich Gesangsstunden wirklich glücklich machen können oder ob doch die Scham, der innere Widerstand und dessen ständige Überwindung mich eher fertigmachen. Aber der Unterricht war auf alle Fälle inspirierend. Zu Hause hole ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder meine Gitarre aus dem Koffer – selbst nach dem beglückenden nächtlichen Konzert in Indien mit Rumi Hallelujah Baba konnte ich mich nicht aufraffen, daheim wieder zu spielen.
Ich suche im Internet nach den Akkorden für ein Lied, das Jessica und ich neulich auf einem Konzert gehört haben. Zum Glück sind die Akkorde selbst für einen eingerosteten Gitarristen wie mich einfach zu spielen, und als Jessica am Abend nach Hause kommt, nehme ich so viel Mut zusammen, wie ich schon seit meinem Hochzeitsantrag im November nicht mehr gebraucht habe, und singe ihr ein Ständchen: »She knows which birds are singin’ / And the name of the trees where they’re performin’ / In the mornin’ / And in January we’re gettin’ married / Come January let’s get married.«
Eigentlich wäre das auch ein schönes Lied gewesen, um ihr damit in Las Vegas den Heiratsantrag zu machen. Aber dann wäre ich vermutlich vor Nervosität wirklich gestorben. 35
32 Die Journalistin Barbara Ehrenreich greift in ihrem Buch »Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt« die Positive Psychologie besonders scharf an und kritisiert zum einen mangelnde Mess- und Nachweisbarkeit sowie geschäftliche Interessen der Beteiligten, denen es vor allem darum gehe, Coachings und Seminare an Firmen und Führungskräfte zu verkaufen. Zum anderen führe die Positive Psychologie und die Fokussierung auf die Allmacht des positiven Denkens zu unrealistisch hohen Erwartungen bzw. zu falschen Schuldgefühlen, falls im Leben doch mal etwas schiefgeht.
33 Obwohl die wörtliche Übersetzung »Verlustaversion« wäre, wird in der deutschen Forschung meist von »Risikoaversion« gesprochen.
34 Das Ergebnis beruht nicht alleine auf »loss aversion«, sondern auch auf anderen menschlichen Eigenheiten, die den Markt verzerren – zum Beispiel der Neigung, gerne den Status quo zu bewahren, auch genannt »inertia bias«, also in etwa »Trägheitsverzerrung«.
35 Der Vollständigkeit halber: Jessica und ich haben nach unserer Hochzeit in Las Vegas im Sommer noch einmal geheiratet – mit unseren Familien und all unseren Freunden in Deutschland. Um das Buch nicht zu hochzeitslastig werden zu
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