Sternhagelgluecklich
Glücksmomente – verbringe ich in diesem Monat auch einen Kurzurlaub in Spanien. Mit meinem besten Freund Dirk fliege ich für vier Tage an die Atlantikküste. Wir fahren über kurvige Straßen in ein kleines Nest, in dem es alles genau einmal gibt: ein kleines Hotel. Einen Kiosk. Ein Café. Ein Fischrestaurant. Einen Surfbrett-Verleih. Einen langen Strand, an dem sich fast ausschließlich Spanier aus dem Hinterland tummeln. Das Einzige, was es nicht gibt, ist eine Internetverbindung. Perfekt.
Wir haben beide nicht mehr auf Surfbrettern gestanden, seit unser gemeinsamer Freund Jochen an einem peruanischen Strand von einem Stachelrochen in den Fuß gestochen wurde. Das ist jetzt zehn Jahre her. Da der nächste Arzt mehrere Autostunden entfernt wohnte, griff der langhaarige Besitzer unserer Surfer-Absteige zu einer eigenwilligen Therapie: Er steckte Jochen erst ein Aspirin, dann einen Joint zwischen die Lippen, stellte den angeschwollenen Fuß in einen Topf heißes Wasser und sagte: »Jetzt erst mal eine Stunde abwarten.« Manchmal kann Medizin auch ganz einfach sein.
Ohne Angst vor Stachelrochen hechten Dirk und ich in die spanischen Wellen. Anfangs merken wir die zehn Jahre Pause. Jeder von uns schluckt ungefähr fünf Liter Salzwasser, doch nach einer Weile geht es besser. Ich stehe maximal zwei bis drei Sekunden auf dem Brett. Aber dieses kurze Gleiten in Richtung Strand kommt mir dort oben vor wie eine Ewigkeit. Jeder noch so kurze geglückte Balanceakt auf dem Brett ist ein Triumph gegen die Schwerkraft, gegen das Meer, gegen die eigenen morschen Knochen. Selbst wenn mich eine zu große Welle falsch erwischt und durchwirbelt wie eine Waschmaschine im Schleudergang, fühlt es sich großartig an – spätestens sobald ich feststelle, dass ich nicht ertrunken bin.
Ich dümple ein wenig auf meinem Brett hinter den Wellen, um Atem zu schöpfen, und beobachte Dirk. Mihaly Csikszentmihalyi – laut dessen Aussage wir am glücklichsten sind, wenn wir in einer Tätigkeit aufgehen – würde sagen: Dirk ist eindeutig im Flow. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Für ihn zählt gerade nichts anderes als die nächste Welle. Er ist ganz bei sich: wie er Ausschau hält, im richtigen Augenblick lospaddelt, aufs Brett springt, sich hinstellt, die Balance findet – und mit einem lauten »Wooohoo!« dem Strand entgegengleitet.
Auch ich habe, seit wir im Wasser sind, keine einzige Sekunde an die Steuerprüfung, an anstehende Abgabetermine, an meinen Kontostand oder an meinen unaufgeräumten Schreibtisch gedacht.
Als Teenager therapierte ich die schlimmsten Anfälle von Liebeskummer mit Computerspielen. Beim Musikhören oder im Kino kehrten die Gedanken stets wieder zurück zu den Mädchen, die meine Liebe verschmähten, mich mit italienischen Dorfdisco-DJs betrogen oder mir anderweitig Kummer bereiteten. Wer jedoch schon mal einen digitalisierten Sportwagen mit Vollgas eine kalifornische Küstenstraße entlanggesteuert oder als »Fußballmanager« per Tastatur einen kleinen Verein bis in die Bundesliga geführt hat, wird bestätigen, dass dabei kein Platz für Grübeleien und Selbstmitleid bleibt. 39 Ein gut gemachtes Spiel lässt einen eintauchen in eine andere Welt und erfordert so viel Aufmerksamkeit, dass sich der Flow fast automatisch einstellt. So absurd es klingt: Wenn man sich komplett darauf konzentriert, einer Armada von Außerirdischen in den Hintern zu schießen, kann sich das eigene geschundene Herz in dieser Zeit ein wenig erholen. 40
»Hey! Wie lange sind wir eigentlich schon im Wasser?«, reißt Dirk mich irgendwann aus den Gedanken. Ich kann tatsächlich nicht sagen, ob wir uns seit einer halben Stunde mit den Wellen duellieren oder schon seit zweieinhalb. Typischer Flow-Zustand.
»Keine Ahnung«, sage ich. »Aber ich würde sagen, wir bleiben noch ein bisschen.«
Lass uns Freunde bleiben
Neben dem Flow-Erlebnis auf dem Wasser sind es vor allem die entspannten, aber dabei intensiven Gespräche während dieser kurzen Reise, die mich froh machen. Dass Freundschaften wichtig für das persönliche Glück sind, darin sind sich nahezu alle Experten einig. Freunde bringen einen zum Lachen – und nach Hause, wenn man zu viel getrunken hat. Freunde nehmen einen so, wie man ist – aber auch nicht allzu ernst. Freunde machen einem Mut, geben einem Rat – und manchmal vielleicht auch den nötigen Dämpfer. Aber wie hält man eine Freundschaft am Leben, wenn man so wie Dirk und ich in zwei verschiedenen
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