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Sternhagelgluecklich

Sternhagelgluecklich

Titel: Sternhagelgluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
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verpönt ist, sehen viele Menschen auch einen Eingriff in die chemische Balance unseres Gehirns als eine unanständige Manipulation an – »ohne die es doch auch gehen muss«.
    Dieses strenge Urteil mag in einer Art protestantischer Arbeitsethik begründet liegen – nur wer an sich arbeitet, wer sich seinen Ängsten stellt und sie überwindet, hat ein glückliches Leben auch wirklich verdient. Eine andere Erklärung wäre das – oft durchaus berechtigte – Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie und verschreibungswütigen Ärzten, die allzu schnell ihren Schrank aufmachen und die Gratisprobe herausholen, die der letzte Vertreter dagelassen hat. Doch welcher Grund auch immer dahintersteckt – am Ende bleibt das moralische Fazit: Wer an sich arbeitet, durch jahrelanges Graben irgendwann zum Kern seiner Probleme vordringt und sie »aufarbeitet«, der hat sich unseren Respekt verdient. Wer sich hingegen ein Medikament verschreiben lässt und dadurch vielleicht am Ende das gleiche Ergebnis erzielt, macht es sich zu bequem und handelt dadurch unmoralisch.
    Mein für die meisten sicherlich noch unmoralischeres Experiment in Sachen Selbstmedikation geht inzwischen weiter. Im Gegensatz zu dem, was Jonathan Haidt in seinem Buch schildert, passiert bei mir nichts über Nacht. Den Tag, an dem ich morgens aufwache und die Welt durch eine rosarote Brille sehe, gibt es bei mir nicht. Dennoch merke ich, wie sich nach zwei bis drei Wochen regelmäßiger Einnahme eine gewisse Grundentspanntheit in mir ausbreitet.
    Es beginnt mit kleinen Dingen: Normalerweise verwende ich schon bei unwichtigen Entscheidungen unverhältnismäßig viel Zeit darauf, mögliche Konsequenzen, Vor- und Nachteile abzuwägen. Wenn fünf verschiedene Besorgungen zu machen sind, mache ich mir minutenlang darüber Gedanken, welche Reihenfolge die beste wäre. »Wenn ich zuerst zum Schuster und dann zur Bank gehe und dann zum Supermarkt, ist der Weg am kürzesten. Aber dann muss ich die ganze Zeit über Getränkekisten durch die Gegend tragen. Wenn ich erst am Ende Geld hole, kann ich die Reinigung nicht bezahlen …« Und so weiter und so fort. Dank der kleinen Kapseln, die ich jeden Morgen nehme, sind mir viele dieser Banalitäten, mit denen ich mich früher tatsächlich ernsthaft auseinandergesetzt habe, plötzlich herzlich egal. Alles nicht so wichtig. Ich werde nicht zum bekifften Surfer Jeff Spicoli aus »Ich glaub’ ich steh’ im Wald«, der sich darüber amüsiert, wie sich sein Kopf anhört, wenn er mit einem Schuh darauf herumtrommelt. Ich verpasse auch keine einzige Artikel-Deadline oder andere wichtige Termine. Ich bin einfach nur ein bisschen weniger obsessiv und halte mich seltener mit Kleinkram und Grübeleien auf. Soweit erst mal ganz angenehm.
    Doch auch in schwerwiegenderen Angelegenheiten zeigt das Medikament Wirkung: Je näher die Steuerprüfung rückt, umso gelassener werde ich diesbezüglich. Es kommt, wie es kommt, scheint mir eine innere Stimme zu sagen. Du hast nichts Dramatisches zu befürchten. Selbst wenn sie dir aus einer Kleinigkeit einen Strick drehen wollen, dann ist das in einem Jahr auch nur noch eine ferne Erinnerung, über die du den Kopf schütteln wirst. Über die du höchstwahrscheinlich irgendwann sogar lachst, wenn du sie anderen erzählst.
    Als ich vier dicke Aktenordner mit Unterlagen beim örtlichen Finanzamt abgebe, habe ich sogar richtiggehend gute Laune und bin kurz versucht, den Sachbearbeitern dort ein Eis zu kaufen. Die Armen sitzen bei strahlendem Sonnenschein zu viert in einem winzigen Büro. Dann belasse ich es bei größtmöglicher Freundlichkeit, die gerade noch nicht als Bestechungsversuch oder offenkundiger Irrsinn verbucht werden kann, und mache mich ohne Ordner und befreit von der Angst vor dem Prüfungsergebnis auf den Heimweg.
    Im sozialen Bereich verliere ich die Schüchternheit, die mich begleitet, seit ich denken kann, und die ich oft genug verflucht habe. »Ich dachte die ganze Zeit, du wärst arrogant, weil du nie etwas gesagt hast«, war eine häufige Reaktion von Klassenkameraden, Arbeitskollegen und anderen Leuten, mit denen ich mich längere Zeit in einem Raum befand. Das Medikament macht’s möglich: Ich merke, wie ich weniger unsicher und gehemmt werde, dafür jeden Tag ein wenig aufgeschlossener und gelöster. »Wo wollen Sie denn hin?«, frage ich auf einmal Leute, die mit einem Stadtplan in der Hand in meiner Straße stehen, statt wie sonst mit Kopfhörerstöpseln im Ohr einfach

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