Sternhagelgluecklich
besten Abend ihres Lebens.
Doch die digitalen Wege zwischen New York und Vermont sind kurz. Als die jungen Männer drei Tage später wieder zu Hause waren und nach Kritiken von ihrem sagenhaften Auftritt in der großen Stadt suchten, fanden sie auf der Webseite von »Improv Everywhere« einen ernüchternden Text: alles nur Schwindel. Ein gut gemeinter Schwindel zwar, aber was half das schon. »Man hatte uns verarscht. Es war das Schlimmste, was mir je in meinem Leben passiert ist«, sagte der Gitarrist der Band später in einem Radiointerview. »Ich wurde als Kind oft gedemütigt und auf dem Schulhof ausgelacht. Ich dachte, ich hätte das als Erwachsener hinter mir – und plötzlich passiert es wieder.«
Tatsächlich wirft eine solche Aktion eine Reihe von Fragen auf: Darf man jemandem etwas vormachen, um dieser Person einen glücklichen Moment, einen glücklichen Abend, vielleicht sogar ein glückliches Leben zu bescheren? Darf man jemanden zu seinem Glück zwingen? Erinnern wir uns an die Theorie zur »loss aversion«, nach der Menschen Verluste doppelt so intensiv empfinden wie Gewinne: Ist die Enttäuschung, wenn die betreffende Person hinter den Schwindel kommt, also unter Umständen größer als die vorherige Freude?
Oder ist das Gegenteil richtig – und die Band selbst schuld oder gar vermessen, wenn sie sich darüber ärgert, dass unzählige Leute sich die Mühe gemacht haben, ihr einen unvergleichlichen Abend zu bereiten? Einen Abend, an dem die Musiker sich wie Stars fühlen durften und den sie sonst wohl nie erlebt hätten? Oder wie es einer der »Agenten« formulierte: »Natürlich ist es traurig, wenn man aus einem schönen Traum aufwacht. Aber niemand will deswegen nur noch Albträume haben, oder?«
»Ghosts of Pacha« haben sich nach einer Phase der Unsicherheit, des Ärgers und vermutlich auch der Scham dafür entschieden, die skurrile Episode in New York als positives Erlebnis zu verbuchen. »Es war schlimm, aber gleichzeitig war es ein Geschenk«, sagt der Gitarrist der Band ein halbes Jahr später, »eine Art Psychotherapie, die mir half, über das Trauma meiner Kindheit hinwegzukommen. Jetzt weiß ich: Egal wie viele Leute sich über mich lustig machen – das kann mir nichts mehr anhaben.«
Ich erinnere mich noch gut an diese Geschichte und schaue seitdem immer mal wieder auf die Internetseite von »Improv Everywhere«. Heute finde ich dort die Videodokumentation einer »Mission«, bei der niemand getäuscht wird und die gleichzeitig einen viel größeren Kreis von Menschen glücklich macht als nur eine Dreimann-Band aus Vermont: Auf einem kleinen, aber stark belebten Platz in Manhattan stellen zwei Männer in Overalls ein massives Stehpult auf, an dem ein Megafon befestigt ist. »Say something nice«, steht gut sichtbar auf einem Schild. »Sagen Sie etwas Nettes!«
Wie simpel und wie wundervoll! Nachdem alles so befestigt ist, dass niemand Megafon oder Stehpult mitnehmen kann, gehen die beiden Männer ohne weitere Erklärung weg.
Ran an die Süßholzraspel!
Was nun passiert, lässt einem selbst dann das Herz aufgehen, wenn man nicht live dabei ist, sondern nur einen Videozusammenschnitt davon sieht. Die Passanten schauen erst ungläubig einander, dann das Megafon an. Irgendwann trauen sich die ersten und sprechen vorsichtig in das Mundstück, erschrecken dabei über die Lautstärke ihrer eigenen Stimme. »Was für ein wundervoller Tag!«, sagt eine Passantin, »Gott segne euch alle!«, eine andere. Fast alle müssen dabei lachen, manche bleiben stehen und hören, was andere Fußgänger sagen, die vorbeikommen. Kinder lassen sich hochheben, um ihre Botschaft in das Megafon zu sprechen, manche Passanten singen, die meisten wünschen den Umstehenden einfach einen schönen, großartigen, einzigartigen Tag. Niemand der unzähligen Menschen, die an diesem Tag an der Installation vorbeikommen, sagt etwas Böses oder Gehässiges. Nur ein Mann nimmt die Aufforderung »Sagen Sie etwas Nettes« auf dem Schild besonders wörtlich. Er bleibt kurz vor dem Megafon stehen und grinst. Dann sagt er laut und deutlich: »Etwas Nettes.«
Um ein Stehpult zu bauen und es diebstahlsicher mit einem Megafon auszustatten, fehlt mir leider die Zeit – aber ich bin trotzdem begeistert von der Idee und dem simplen Beweis, dass selbst kleine Dinge das Leben verändern und bereichern können. Ich nehme mir vor, die nächsten Tage so viele Komplimente wie möglich zu verteilen. Das klingt zunächst einmal nach
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