Sternhagelverliebt
Tag.
»Mom …«
»Nein, Katie«, entgegnet sie, ohne mich richtig anzusehen. »Wir sind alle hierhergekommen, und wir werden alle dableiben.«
Am Tonfall meiner Mutter kann ich erkennen, dass sie nicht nachgeben wird, und ich habe es satt, den Entertainer für die anderen Patienten zu geben. »Gut. Wie auch immer. Wir sind sowieso spät dran.«
Trotzig reckt meine Schwester ihr Kinn vor. Ist es möglich, jemanden zu hassen, der einem so ähnlich sieht?
Ich führe meine glückliche Familie vom Parkplatz, auf dem wir wie auf dem Präsentierteller gestanden haben, und bringe sie zur ersten Sitzung des Tages:
Gruppentherapie mit den Eltern und Geschwistern im Gemeinschaftsraum.
Juchu!
Vier von uns nehmen an dem Familienprogramm teil: Ich, Amber, Candice und der Manager. Wir sitzen auf den Klappstühlen, die wir auch sonst in der Gruppentherapie benutzen, im Kreis um Saundra herum.
Ambers Eltern sind das Musterexemplar eines betuchten Ehepaares aus einem vornehmen Vorort: ein freundliches Lächeln auf den schmalen Lippen, aber im Großen und Ganzen unglaublich verstockt. Ihre Kleider sind maßgeschneidert, und ihre Aussprache betont gepflegt und gehoben. Mürrisch sitzt Amber zwischen ihnen, während sie je eine Hand von ihr halten. Sie wirken traurig, aber beherrscht. Candice’ Mutter ist ein Abbild von Candice – nur in den Sechzigern und mit einem schlechten Facelifting. Offensichtlich wartet sie nur darauf, im geeigneten Moment das Gespräch an sich zu reißen und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Ehefrau des Managers ist klein und auf eine schlichte, verblühte Art hübsch. Sie sieht unglücklich aus, doch wenn man bedenkt, mit wem sie verheiratet ist, kann ich ihr das nicht verdenken.
Saundra heißt uns willkommen, bittet jeden Einzelnen, sich vorzustellen (»Mein Name ist Topher, und meine Tochter ist Alkoholikerin«, sagt mein Dad nervös), und stürzt sich dann in eine Erklärung, was Abhängigkeit bedeutet und welche Rolle die Familie dabei spielen kann, die Sucht zu ermöglichen. Dann spricht sie über Wege, wie unsere Familien uns helfen können, alte Muster zu durchbrechen, und wie sie eine Stütze in unserem Kampf gegen die Sucht werden können.
Während die Manager-Frau und Ambers Eltern regelmäßig Fragen einwerfen, sagen meine Eltern den gesamten Morgen über kein Wort. Sie hören Saundra nur zu. Ab und zu schreibt meine Mutter etwas auf den kleinen Notizblock, den sie immer in der Handtasche hat. Einmal erkenne ich das Wort »Unterstützungssystem«.
Chrissie verbringt den Großteil des Morgens damit, aus dem Fenster auf den See zu starren. Sie sieht aus, als würde sie die Sache am liebsten abbrechen. Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Zwar bin ich selbst nicht gerade der offenherzigste Mensch auf Erden, aber gegen Chrissie wirken Ambers zurückhaltende Eltern wie Kandidaten bei
The Bachelor.
Ich frage mich, warum sie unbedingt dabei sein wollte.
Doch ich bekomme nicht die Gelegenheit, es herauszufinden. Als die Sitzung beendet ist, verkündet meine Schwester, dass sie gehen wird.
»Aber vorhin hast du noch so einen Wirbel veranstaltet«, sagt mein Dad mit besorgtem Blick. »Warum bleibst du nicht hier?«
»Um mir noch mehr Gründe anzuhören, warum
wir
für Katies Mist verantwortlich sind? Nein danke.«
Amber lächelt mir mitfühlend zu, als sie mit ihren Eltern zur Tür geht.
»Dann verschwinde doch«, sage ich. »Ich habe dich sowieso nicht gebeten, hierherzukommen.«
Chrissie funkelt mich an. »Nein, und das hättest du auch nie getan, stimmt’s?«
Seufz. Früher waren wir einander mal so nahe, dass wir uns darüber freuten, wenn die Leute uns fälschlicherweise für Zwillinge hielten. Und jetzt habe ich keine Ahnung, was ich sagen könnte, um sie zum Bleiben zu bewegen – selbst wenn ich es wollte.
»Nein, das hätte ich nicht getan.«
Meine Mutter atmet scharf ein, und mein Vater macht ein schnalzendes, missbilligendes Geräusch. Chrissie schnappt sich wortlos ihre Tasche und stolziert durch die Glastür hinaus. Ich beobachte, wie sie weggeht. Ihre Schultern sind vor Wut angespannt. Ich weiß, dass ich ihr hinterherrennen sollte, doch mir fehlt die Kraft dazu. Außerdem wüsste ich nicht, was ich sagen könnte, um das, was zwischen uns falschläuft, aus der Welt zu schaffen.
Ich drehe mich zu meinen Eltern um. Mein Vater hat den Arm um die Schultern meiner Mutter gelegt und hält sie fest an sich geschmiegt.
»Möchtet ihr auch gehen?« Ich
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