Sternhagelverliebt
»Ich verstehe.«
Themenwechsel!
»Meine Eltern kommen heute.«
Warum zur Hölle erzähle ich ihm das?
»Zu dieser Familientherapie?«
»Ja.«
Er sieht mich eindringlich an. »Du klingst nicht gerade erfreut.«
»Wärst du denn froh darüber?«
»Ich weiß nicht, ob ich dazu etwas sagen kann«, entgegnet er behutsam. So behutsam, dass ich das Gefühl habe, in Tränen ausbrechen zu können.
Schon wieder Tränen! Tja, ich werde auf gar keinen Fall vor Henry in Tränen ausbrechen.
Ich antworte schnell und ignoriere den Kloß in meinem Hals. »Ich gehe dann mal lieber duschen.«
»Geht’s dir gut?«
»Sicher. Wir sehen uns.«
»Viel Glück.«
»Danke.«
Einen Moment lang bleiben unsere Blicke aneinander hängen. Er legt mir beide Hände auf die Schultern und zieht mich an sich. Seine Arme fühlen sich warm und stark an. Er duftet nach Salz und Seife.
»Du wirst es schon schaffen, Kate, Katie, wie auch immer«, flüstert er mir ins Ohr.
Gott. Ich werde auf jeden Fall in Tränen ausbrechen.
»Ich muss los.« Ich lege meine Hände an seine Brust und schiebe ihn von mir, ohne meinen Kopf zu heben.
Ehe er noch etwas Nettes sagen oder mir die Tränen vom Gesicht streichen kann, drehe ich mich um und laufe weg.
Meine Eltern kommen gegen zehn Uhr mit ihrem ramponierten, alten VW -Kombi an. Ich warte auf sie an der Steinmauer, die den Parkplatz umgibt. Zur Feier des Tages habe ich die besten Klamotten angezogen, die ich in die Entzugseinrichtung mitgebracht habe – einen Jeansrock und eine hellgrüne Hemdbluse, die dringend gebügelt werden müsste.
Meine Eltern klettern gleichzeitig aus dem Wagen. Meine Mom trägt einen weiten Khakirock und eine weiße Bluse. Ihr langes graues Haar hat sie zu einem ordentlichen Knoten hochgesteckt. Mein Dad (der vom 1 . April bis zum 1 . November Shorts anzieht – unabhängig vom Wetter oder vom Anlass) hat sich für karierte Golfshorts und ein dunkelrotes Poloshirt entschieden.
Wir umarmen uns zur Begrüßung. Und dann kommt das dicke Ende …
»Was denn? Keine Umarmung für mich?« An das Auto gelehnt grinst Chrissie mich an. In dem hellgrauen Shirtkleid und mit mehr Make-up, als sie für gewöhnlich auflegt, sieht sie adrett, aber eindeutig wütend aus.
Was sagt es wohl über meine Familie aus, dass wir offenbar alle der Meinung waren, dass man sich zur Familientherapie besonders herausputzt?
Sandford-Outfits für den Entzug. Erhältlich in jedem gutsortierten Bekleidungsgeschäft in Ihrer Nähe.
»Was will
sie
hier?«, frage ich meinen Dad.
»Das ist eine Familientherapie, Katie«, antwortet er vorwurfsvoll.
»Ha!«, stößt Chrissie hervor. »Seit wann schert sie sich um unsere Familie?«
Voller Bedauern betrachte ich ihr zorniges Gesicht. Als ich die Stadt verließ und nicht mehr zurückblickte, fingen meine Eltern an, stolz auf mich und darauf zu sein, dass ich auf eine bekannte Universität ging. Chrissie hingegen wurde immer wütender auf mich. Weil ich sie zurückgelassen hatte? Weil sie nicht die Noten hatte, um mir zwei Jahre später zu folgen? Ich war mir nie sicher; und um ehrlich zu sein, habe ich mir auch nie die Mühe gemacht, sie zu fragen. Dann passierte die Geschichte mit Michael, und von da an ging es bergab.
»Was ist dein verdammtes Problem, Chrissie?«, sage ich laut genug, um die Aufmerksamkeit des Managers und einiger anderer Patienten in der Nähe auf uns zu ziehen.
Meine Mutter schreckt zusammen. »Katie, bitte.«
»Es tut mir leid, Mom, aber das hier ist schon schwer genug, ohne dass Miss ›Riesenkomplex‹ mir die Schuld für all das gibt, was in ihrem Leben schiefgelaufen ist.«
»Das tue ich überhaupt nicht!«
»Doch, das tust du. Ich bin nicht der Grund dafür, dass Michael dich betrogen hat.«
Beim Klang seines Namens zuckt sie zusammen. »Es ist in deiner Wohnung passiert.«
Ich wende mich meinem Vater zu. »Siehst du, was ich meine, Dad?«
Ich werfe ihm meinen »Willst du dein kleines verlorenes Mädchen nicht glücklich machen«-Blick zu und bemerke, wie er weich wird. Er war noch nie gut darin, mich zu maßregeln.
»Chrissie, vielleicht wäre es doch besser, wenn nur ich und deine Mutter …«
Chrissies Kopf läuft vor Wut rot an. »Ich glaub das jetzt nicht!«
Meine Mutter schüttelt entschieden den Kopf. »Nein, Topher. Lass dich nicht von ihr manipulieren.«
Seit wann reibt meine friedliebende Mutter mir meine Fehler unter die Nase? Das ist ein schlechter, ein sehr schlechter
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