Sternschnupperkurs
sah zu Lucille auf. »Sie ist grottenschlecht.«
»Pst«, zischelte Lucille, völlig entsetzt. Diskretion lag Jaz nicht.
»Stimmt aber. Du bist zehnmal besser als sie.«
»Würdest du bitte leise sprechen!«, quietschte Lucille.
»Ist ja gut.« Jaz grinste breit, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und studierte die Speisekarte. »Ich nehme das Meeresfrüchte-Risotto, dann das Saltimbocca mit Linguine. Aber wünschst du dir nicht, du würdest jetzt an ihrer Stelle sein?«
Der abrupte Themenwechsel erwischte Lucille eiskalt; eine Herzstillstandsekunde lang dachte sie, er meinte, ob sie nicht statt Celeste an seinem Tisch sitzen wolle.
Nach weiteren Herzstillstandsekunden musste Lucille einräumen, dass die Antwort Ja lauten würde.
Aber nicht in einer Million Jahre hätte sie das zugegeben.
Das war allerdings irrelevant, denn Jaz hatte das ja auch gar nicht so gemeint.
Natürlich
sprach er von der Pianistin.
»Nein.« Lucille schüttelte entschieden den Kopf. »Ich bin froh, dass ich es nicht bin.«
Jaz sah sie ungläubig an. »Du kannst unmöglich froh sein.«
»Doch, bin ich. Ich arbeite lieber als Kellnerin, das ist viel entspannter. Es ist, als ob man den ganzen Tag in Jeans herumgelaufen wäre, die zwei Nummern zu klein sind, und dann endlich den Reißverschluss aufmachen kann.«
»Bäh!« Celeste kräuselte die Nase und legte die Speisekarte aus der Hand. »Bitte nicht vor dem Essen!«
»Dann heißt es also ›Lebt wohl!‹ zu den Jeans und ›Hallo!‹ zu den weiten Hosen mit Elastikgummiband.« Jaz grinste Lucille an.
»Aus Stretchmaterial. Es müssen Stretchhosen sein«, rief ihm Lucille in Erinnerung.
»Entschuldigt mich«, beschwerte sich Celeste. »Aber mir ist der Appetit aufs Mittagessen jetzt vergangen.«
Als sie eineinhalb Stunden später das Restaurant verließen, drückte Jaz Lucille einen extra Zehner in die Hand.
»Du hast mir schon Trinkgeld gegeben«, protestierte Lucille.
»Ich weiß. Gib das der Sängerin, wenn wir fort sind.«
»Ich dachte, du findest sie grottenschlecht.«
»Das ist sie auch.« Jaz zuckte unbekümmert mit den Schultern.
O mein Gott …
Lucille schauderte, als sie die Erkenntnis wie ein Hammerschlag traf. Sie war immer davon ausgegangen, dass die Leute ihr Geld in den Hut warfen, weil sie sie für gut hielten. Nie war ihr der Gedanke gekommen, dass sie es getan haben könnten, weil sie ihnen leid tat.
»He, alles in Ordnung?« Jaz betrachtete ihr Gesicht mit wachsender Besorgnis.
Lucille fühlte sich völlig durch den Wind. Sie nickte. Da war sie wieder, die brutale Wahrheit. Aber es war sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen – der ganze Unsinn mit der Musik lag jetzt hinter ihr. Von nun an würde sie sich fürs Kellnern begeistern. Vielleicht würde sie sogar das Hundesitten aufgeben und Vollzeitkellnerin werden; schließlich kam bald der Winter, und stundenlang bei Minustemperaturen und Graupelmatsch durch die Downs zu laufen, war nicht gerade das, was man eine verführerische Aussicht nennen konnte.
»Es ist erst halb vier«, sagte Celeste. »Lass uns einkaufen gehen. Ich brauche wirklich neue Schuhe.«
Lucille, die von Suzy wusste, dass Celeste über zweihundert Paar Schuhe zu Hause hatte, bemühte sich sehr, ihre Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen.
»Ich weiß nicht recht.« Jaz runzelte die Stirn. »Lieber würde ich mich in ein Becken mit menschenfressenden Haien werfen.«
Celeste zog einen Schmollmund, schob ihren Arm durch seinen und meinte mit der Singsangstimme eines kleinen Mädchens: »O Ja-az, ich weiß, dass du das nicht so meinst.«
Jaz rollte in gutmütiger Resignation mit den Augen. »Na schön. Dann komm. Los geht’s.«
»Die Sache ist die, ich liebe dich«, sagte Leo, und seine Stimme vibrierte gefühlvoll. »Ich kann nicht anders, es ist einfach so.«
»Donnerwetter!« Suzy schluckte. Begeistert sah sie zu ihm auf. Ihre Finger krallten sich hilflos um die Samtarmlehnen ihres Stuhles. »Aber was ist mit Harry?«
»Pst. Eins nach dem anderen. Willst du mich heiraten?«
»Natürlich will ich!« Die Worte purzelten fröhlich aus ihr heraus. Dieses Mal, das wusste Suzy ganz sicher, dieses Mal war es kein Trick.
»Wenn das so ist, dann könnte Harry doch bei uns einziehen.« Leo trat auf sie zu, streckte seine Hand aus und streichelte ihre heiße Wange. »Ich habe schon alles durchdacht. Er kann in der Hundehütte im Garten schlafen, und wir bezahlen Lucille, dass sie mit ihm Gassi geht …«
Moment mal,
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