Sternschnupperkurs
Suzy. Während der Organist sie schwungvoll zur letzten Strophe führte, lugte sie an Maeve vorbei und versuchte, die Gesichtszüge einer schattenhaften Gestalt auszumachen, die rechts hinten in der Kapelle stand, gleich neben den Doppeltüren.
Suzy erkannte nichts weiter als einen großen Filzhut und einen langen, dunklen Mantel. Der Hut war tief ins Gesicht gezogen, sodass man unmöglich sagen konnte, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Aber der Trauergottesdienst war so gut wie vorüber. Jede Minute würden sie draußen Aufstellung nehmen, und die Kreatur mit dem Filzhut würde sich anstellen, um ihnen die Hand zu schütteln und die üblichen Beileidsfloskeln auszusprechen.
Außerdem würde es ohnehin eine Enttäuschung sein, die Identität zu erfahren. Wenn der Filzhut ein Mann war, schlussfolgerte Suzy, dann würde es einer von Blanches Frisören sein. Sollte es sich um eine Frau handeln, wäre sie jemand, der für die örtliche Nachrichtenagentur gearbeitet hatte.
»… the Lord God made them alllll«, dröhnte der Vikar und beendete den Schlusschor. Es trat ein Augenblick der Stille ein, nur unterbrochen von einem von Julias mäßig gedämpften Schluchzern, dann spielte der Organist etwas Leises, und der Vikar streckte den Arm der ersten Reihe entgegen, um anzuzeigen, dass sie den Zug vor die Kapelle anführen sollten.
Rory ging als Erster. Ihm folgte Julia, die ihre Augen mit einem schwarzen Spitzentaschentuch abtupfte. Suzy verließ als Letzte die Reihe. Sie konnte kaum glauben, dass es tatsächlich schwarze Spitzentaschentücher zu kaufen gab. Julia musste dieses Teil selbst geklöppelt haben.
Suzy sah in die Gesichter derer, die im Leben ihrer Mutter eine Rolle gespielt hatten.
Die Frau mittleren Alters zum Beispiel, die sich lautstark die Nase schnäuzte … ah ja, schon einmal gesehen, ein Mitglied des Bridge Clubs.
Und was war mit dem jungen, ziemlich gut aussehenden Kerl, der neben dem Notausgang herumlungerte? Moment mal, war das nicht der Milchmann ihrer Mutter? Himmel, nahmen Milchmänner immer an den Beerdigungen ihrer Kunden teil?
Und das auch noch
weinend
?
Tja, so war eben Blanche, dachte Suzy, während sie langsam den Gang hinunterschritt; wer sie nicht kannte, hielt sie für großartig. Es war ihr immer sehr viel besser gelungen, neue Freundschaften zu schließen als alte zu pflegen.
So, jetzt waren sie an den Doppeltüren angelangt. Suzy sah sich unter den Trauernden rasch nach dem Filzhut um.
Ohne Erfolg.
Wer immer diesen schneidigen Hut getragen hatte, war bereits gegangen.
Der Leichenschmaus fand in Blanches Haus im Sneyd Park statt und dauerte bis weit in den Abend.
»Dieser Bridge Club von Mutter bechert ganz schön was weg«, sagte Rory zu Suzy, als er sich an ihr vorbeiquetschte, im Arm den Nachschub an Scotch.
Suzy stellte fest, dass Julia in der Küche eine Krise hatte. Um sie aufzuheitern, meinte sie: »Hast du Margot von der anderen Straßenseite gesehen, wie sie Mums Anwalt zuquatscht? Also ehrlich, die Frau sollte man nicht aus dem Haus lassen.«
»Ich kann keinen Topflappen finden. Wo hat Mummy die Topflappen aufbewahrt?« Julia war völlig entnervt und den Tränen nahe. Sie zählte die Minuten, bis sie ihre nächste Valium einwerfen konnte. »Die Pastete verbrennt, und ich kriege sie nicht aus dem Ofen. Ich will nur noch, dass alle heimgehen und uns in Ruhe lassen.«
Die arme Julia. Die Beerdigung war enorm anstrengend für sie gewesen. Neben all ihrer Trauer hatte sie ja auch noch an die Beerdigungsetikette denken müssen.
»Komm, setz dich.« Suzy tat ihre ältere Schwester leid. Sanft führte sie Julia zu einem Stuhl, goss ihr ein Glas Wein ein und schaltete den Herd aus. »Mach dir keine Gedanken um das Essen. Die da draußen hatten schon mehr als genug. Ich werde sie jetzt einen nach dem anderen rausschmeißen. Und es besteht auch überhaupt keine Veranlassung, warum Douglas das Testament heute Abend verlesen sollte – wir schicken ihn heim und machen einen Termin am Ende der Woche aus.«
Douglas Hepworth kam genau in diesem Augenblick mit Rory in die Küche. Er hatte ihre letzten Worte gehört, blinzelte Suzy hinter seinen Eulenbrillengläsern nervös an und vollführte kleine Schulterzucker, was er immer tat, wenn ihm etwas Kummer bereitete.
»Äh, um ehrlich zu sein, ich würde das gern heute Abend erledigt wissen. Ihre Mutter hat speziell darum ersucht … äh, es gibt auch einen Grund …«
Noch mehr Minischulterzucker. Suzy
Weitere Kostenlose Bücher