Sternstunde der Liebe (German Edition)
vorzustellen, wie es sich darin lebte. Vielleicht hatte Michael Recht; vielleicht war das Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen Elizabeth und dem Leuchtturmwächter längst zerbrochen, bevor sie mit Captain Thorn auf und davon gesegelt war.
»Spricht man in deiner Familie über die Legende?«, fragte Quinn.
»Schon lange nicht mehr. Meine Mutter und meine Tante besitzen handgearbeitete Broschen, die genauso aussehen wie der Leuchtturm, und als ich klein war, fand ich die Geschichte der beiden Frauen spannend. Ich weiß von meiner Mutter – vielleicht auch von meiner Tante –, dass ihre Großmutter Meeresgrotten erwähnte, wo sich das Mädchen –«
»Clarissa.«
Michael nickte. »Wo sie sich zu verstecken pflegte.«
»Meeresgrotten?« Quinn blickte ihn zweifelnd an. »Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
»Ist wahrscheinlich nur eine Geschichte.«
Dennoch fuhr Quinn, als sie den Motor wieder angelassen hatte, nicht schnurstracks nach Hubbard’s Point zurück, sondern weiter in den Sund hinaus. Sie umrundeten die Insel, betrachteten den Leuchtturm und das Riff, auf dem er stand – bei Flut war nicht viel von ihm zu sehen. Seemöwen und Seeschwalben nisteten auf den Felsen; ihre Schreie erfüllten die Luft wie unersättliche Spukgestalten.
Quinn schauderte. Sie spürte die Anwesenheit von Geistern wie andere Menschen eine leichte Brise. Clarissa und ihre Mutter waren hier, sprachen zu ihr. Sie blickte Michael an, um zu sehen, ob auch er sie wahrnahm, und stellte überrascht fest, dass er sie beobachtete, als wüsste er nicht recht, was er von ihr halten sollte. Quinn umklammerte die Ruderpinne, bemüht, Ruhe zu bewahren.
Ihr war, als hätte ihr gerade jemand eine Rettungsleine zugeworfen. Nicht der Geist ihrer Mutter oder ihres Vaters, nicht einmal der Geist von Clarissa Randall. Nein, es war dieser zu gut aussehende, zu reiche, ganz und gar nicht in ihrer Liga spielende Junge, der im Bug ihres Bootes saß und aus irgendeinem Grund – den sie nicht einmal ansatzweise auszuloten vermochte – seinen Blick nicht von ihr lösen konnte.
Michael Mayhew hatte ihr eine Rettungsleine zugeworfen, und Quinn hatte keine Ahnung warum, nicht um alles in der Welt. Aber es war reichlich merkwürdig – eine solche Nähe zu spüren. Es musste eine Pseudo -Nähe sein! Kein Junge, der so attraktiv war wie er, würde sich ohne einen absonderlichen Beweggrund derart verhalten.
»Was wird hier eigentlich gespielt?«, fragte sie plötzlich und riss die Augen auf.
»Gespielt?«
»Ja. Sag es mir, auf der Stelle. Weil ich keine Zeit für solchen Mist habe.«
»Wovon redest du?«
»Ich rede nicht über meine Eltern – mit niemandem!«
»Hey, ich habe dich nicht dazu gezwungen –«
»Was weißt du überhaupt! Du hast doch Eltern, die beide gesund und munter sind! Jemand wie du hat keinen blassen Schimmer. Du behauptest, die Beziehung zu deinem Vater sei zerbrochen und ließe sich nicht mehr kitten, und ich sage dir, dass du von Glück sagen kannst, dass er lebt!« Sie rückte so weit von ihm ab, wie es ging, ohne über Bord zu fallen.
»Wieso rastest du jedes Mal aus, wenn –«
»Red ja nicht von ausrasten!«, erwiderte sie zitternd, verstand nicht, warum sie sich so am Boden zerstört fühlte. Warum hatte sie ihre Abwehrmechanismen außer Kraft gesetzt?
»Okay, keine Sorge – ich werde das Wort nie wieder in den Mund nehmen.«
»Lass mich in Ruhe. Ich meine es ernst!«
»Ich hab schon verstanden, Quinn. Lass uns einfach ans Ufer zurückfahren, okay?«
Sie nickte, gab Gas und schwang das Boot herum, weg vom Leuchtturm. Ihre Handflächen waren schweißnass; nie zuvor hatte sie jemanden, abgesehen von Allie, Tante Dana oder Sam, so nahe an den Ort herangebracht, an dem das Boot ihrer Eltern gesunken war.
Doch als sich der Nebel lichtete und ihr Herz langsamer schlug, fiel ihr Blick auf Michaels Gesicht. Er sah bestürzt aus, erschrocken, als wüsste er nicht, wie ihm geschah. Kein Wunder, denn sie hatte soeben jemanden, der – vielleicht, nur vielleicht – lediglich den Wunsch verspürt hatte, ihre Freundschaft zu gewinnen, gnadenlos niedergemacht.
Das ging über ihr Begriffsvermögen hinaus. Sie gab Gas und fuhr schneller nach Hubbard’s Point zurück.
Die Sonne schien am späten Vormittag durch das breite Fenster, und die Klimaanlage summte leise vor sich hin, kühlte die Praxis. Draußen vor dem Fenster flimmerte die Hitze auf dem weitläufigen freien Feld. Vier Morgen Land, die von
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