Sternstunde der Liebe (German Edition)
Zitroneneis. Und schließlich, auf einer Klippe, die steil aus dem Sund aufragte, der Herrensitz der Renwicks.
»Das ist Firefly Hill; dort wohnt Sams Schwiegermutter«, erklärte Quinn. »Ich schätze, Augusta ist jetzt meine angeheiratete Stiefgroßmutter.«
»Großes Anwesen, imposant.«
»Ihr Mann war ein berühmter Maler – Hugh Renwick. Er gehörte zu den Impressionisten von Black Hall; unsere Stadt ist als Künstlerkolonie bekannt.«
»Cool.«
»Am Firefly Beach – das ist der weiße Sandstrand direkt unterhalb des Hauses – wurden früher Goldmünzen gefunden. Jahrelang entdeckte die Familie beim Strandspaziergang immer wieder diese seltenen Münzen … jeder kannte die Geschichte von dem Schatz, aber keiner wusste mit absoluter Sicherheit, woher er stammte.«
»Von diesem Schiff … woher sonst, meine Mutter hat mir oft davon erzählt.«
»Du meinst die Cambria. Das war ein englischer Schoner, beladen mit Gold aus den königlichen Schatzkammern. Es wurde viel gemunkelt, bis Sams Bruder Joe von Florida hier herkam, um das Wrack zu heben. Dabei stieß er auf einen Schatz, der noch mehr wert ist als das Gold …«
»Und das wäre?«
»Zeugnisse der Vergangenheit, beispielsweise.« Quinn blickte aufs Meer hinaus, zu der Stelle, an der die Cambria untergegangen war. »Du kennst die Geschichte bestimmt … du bist doch irgendwie mit den Leuten verwandt, oder?«
»Ja, mit Elizabeth Randall, vor Ewigkeiten.«
»Ihr Mann war Leuchtturmwärter, da hinten.« Quinn deutete über die Wellen zum Wickland Rock Light. Die hohen zerklüfteten Felsen befanden sich in der Mitte der Meerenge – so weit vom Festland entfernt, dass sie an eine Gefängnisinsel wie Alcatraz erinnerten. Quinn konnte diese Geschichte nie ohne einen Kloß im Hals erzählen, wenn sie an die ursprüngliche Elizabeth und deren Tochter Clarissa dachte.
»Wow, dort haben sie also gelebt.«
»Ja. 1769. Das weiß ich deshalb so genau, weil die Schüler in der Highschool von Black Hall Clarissas Tagebuch lesen und alles über die Cambria lernen müssen. Sie ist eine Legende unserer Gegend, eine lokale Berühmtheit, aber Rumer meint, das sei noch nicht alles – die Lektüre vermittle uns außerdem ein Bild, wie die Leute damals gelebt haben und –« Quinn verstummte, unfähig weiterzusprechen.
Michael spürte offenbar ihren Gefühlsaufruhr; das erkannte sie an dem besorgten Blick, den er ihr zuwarf. Vermutlich gehörte er zu den Jungen, die Tränen bei Mädchen nicht ausstehen konnten und beim ersten Anzeichen von Rührseligkeit am liebsten über Bord gesprungen wären.
»Was ist los?«, fragte er.
»In Clarissas Tagebuch erfahren wir etwas über uns selbst«, fuhr Quinn fort, Tränen in den Augen. »Wie man sich fühlt, wenn man auf einer Insel lebt. Wie einsam und verlassen man sich vorkommt. Und wie es ist, wenn die eigene Mutter ertrinkt.«
»Deine Mutter ist ertrunken …« Michael rückte näher an sie heran.
»Ja.« Quinn starrte zum Hunting Ground hinüber, wo das Boot ihrer Eltern untergegangen war. »Zusammen mit meinem Vater.«
»Das tut mir Leid.« Obwohl Michael sie nicht berührte, saß er so dicht bei ihr, dass sie seine Kraft spüren konnte. Es war, als hätte er gerade den Arm um sie gelegt, und Quinn schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken.
»Danke«, flüsterte sie.
»Ich weiß nicht viel über Clarissa und Elizabeth«, sagte Michael leise. »Oder über die Cambria … aber das Gefühl, einsam und verlassen zu sein, kenne ich gut.«
»Aber du bist doch jetzt bei deinem Vater. Ihr seid zusammen.«
»Wir bewohnen dasselbe Haus, für den Sommer. Aber ›zusammen‹ sind wir deshalb noch lange nicht.«
»Wie meinst du das?« Quinn runzelte die Stirn. Sie wusste, wenn sie ihre Eltern auch nur fünf Minuten lang zurückhaben könnte, würde sie sich nie mehr beklagen. Mit ihnen zusammen sein, ihre Gegenwart spüren, ihre Stimmen hören …
»Zusammen ist mehr, als wenn sich zwei Menschen im selben Raum befinden«, erläuterte Michael. »Es ist eine Nähe, die zerbrechen kann. Und ein solcher Bruch lässt sich unter Umständen nie mehr kitten. Zumindest bei uns.«
Obwohl Quinn den Motor gedrosselt hatte, schaukelte das Boot auf den kleinen Schönwetter-Wellen. Das Sonnenlicht wurde vom Wasser reflektiert, und sie musste blinzeln. Bei Flut schien der Leuchtturm beinahe auf dem Wasser dahinzutreiben. Der Turm ragte hoch über ihnen auf, warf einen Schatten auf den Sund, und Quinn versuchte sich
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