Sternstunde der Liebe (German Edition)
als Kind kein Blut sehen konnte. Blinzelnd holte er Luft und erwiderte Rumers Blick.
»Sag mir, was ich tun soll.«
»Geh zu den Mädchen. Oder bring sie wieder ins Foley’s – damit sie das nicht mit ansehen müssen.«
Er schüttelte den Kopf. »Du brauchst Hilfe. Ich assistiere, einverstanden?«
Rumer nickte. Sie wusste, dass keine Zeit für Diskussionen blieb. Sie schlüpfte aus seinem Regenmantel, gab ihn zurück. »Wir müssen ihn ruhig halten. Vielleicht gelingt es dir, ihn darin einzuwickeln, damit er nicht mit den Flügeln schlagen oder wegfliegen kann – sonst verletzt er sich noch mehr. Oder uns.«
»Okay.« Er raffte den Regenmantel zusammen und ging, langsam und mit ausgestreckten Händen auf den Vogel zu.
Rumer packte ihn am Arm, bedeutete ihm, zu warten. Sie bewegte sich Schritt für Schritt vorwärts, versuchte sich ein Bild zu machen, was ihnen bevorstand. Die Augen des Fischadlers waren gelb und wild; sein gebogener Schnabel war scharf wie eine Klinge. Blut hatte sein weißes Gefieder rostrot gefärbt, noch immer drang ein Schwall aus der Wunde, scharlachrot und nass. Ihr Blick glitt an seinem Hals hinab, und dann sah sie es: das glänzende Stück Metall, das in seiner Kehle steckte und Haut und Federkleid von innen durchbohrt hatte.
»Er hat sich einen Fisch einverleibt, der einen Angelhaken geschluckt hat«, sagte sie leise.
»Ich sehe ihn.« Zeb starrte das schimmernde Metall an.
Rumer hielt den Atem an. Sie hatte nie einen solchen Eingriff ohne Betäubung durchgeführt, aber dafür fehlte die Zeit. Der Fischadler schwebte in akuter Lebensgefahr, riss sich immer weiter die Kehle auf bei dem Versuch, den Angelhaken herauszuwürgen.
»Das wird nicht leicht.« Sie sah, wie der Fischadler abermals krampfartig zuckte, um sich von dem Widerhaken zu befreien. »Hast du eine Satteltasche mit Flickzeug an deinem Fahrrad?«
»Ich hab was Besseres.« Zeb zog ein Leatherman-Tool aus seiner Tasche.
»Gibt es bei diesem Kombiwerkzeug auch eine Drahtzange?«
»Ja.«
»Gut.« Sie nahm die Zange entgegen, die er ihr reichte. Dann leckte sie sich über die Lippen; ihr Mund war trocken.
»Sprich dich aus, Larkin. Was ist los?«
»Ich möchte ihm nicht noch mehr wehtun.«
»Du bist doch Chirurgin, oder? Hast du schon mal eine Operation unter freiem Himmel durchgeführt?«
»Schon, aber nie ohne Betäubung …« Sie musterte den Vogel. Waren seine Augen trüber geworden? »Ich fürchte, wenn ich es nicht versuche, wird er sterben.«
»Rumer, du bist Tierärztin geworden, weil du Tiere liebst. Bestimmt wirst du nicht tatenlos zuschauen wollen, wie er stirbt. Also lass uns versuchen, ihn zu retten. Okay?«
Rumer blickte zu dem abgestorbenen Baum hinauf. Sie wusste, dass Fischadler ihn als Futterplatz bevorzugten. Sie fingen Fische in den Prielen und verzehrten ihre Beute im Geäst. Der Boden unweit des Baumstammes legte Zeugnis davon ab: Fischgräten, Krebsscheren und Rochenschwänze waren ringsum verstreut. Sie sah den verletzten Vogel abermals an und nickte.
»Okay.«
Zeb öffnete den Regenmantel, als breite er seine Flügel aus. Er kauerte sich hinter den Fischadler und hüllte ihn blitzschnell in den Mantel ein. Rumer schlug das Herz bis zum Hals – obwohl der Vogel schwach war, begann er in seiner Angst, mit den mächtigen Schwingen wild um sich zu schlagen. Zeb versuchte, ihn ruhig zu halten, und drehte den Körper Rumer zu, so dass sie leichter an den Haken herankam.
Der Fischadler schnappte, drehte den Hals hin und her, wobei er immer mehr Blut verlor. Rumers Hände bahnten sich pfeilschnell ihren Weg; der Schnabel war scharf wie die Spitze eines Degens und hätte ihr mit einem Biss den Finger abgetrennt.
Es geschah alles so schnell, dass sie kaum zum Denken kam: sie packte das Tier am Hals, öffnete die Drahtzange und knipste den Widerhaken am Ende des Angelhakens ab; an der Angelschnur ziehend, entfernte sie den glatten Schaft aus der Kehle. Die Schnittwunde war aus dieser Nähe deutlich zu erkennen: Etwas mehr als einen Zentimeter lang, an der Vorderseite des Halses.
Ihre Fürsorglichkeit, wie dienstbar auch immer, hatten den Fischadler in Rage versetzt. Zeb hielt ihn fest, doch nun, vom Haken befreit, sammelte er Kräfte und wehrte sich mit aller Macht. Er warf den Kopf hin und her, versuchte, Rumer die Augen auszuhacken. Er gebärdete sich wie ein Wirbelsturm in Zebs Armen, ein wildes Tier, in einen blutigen gelben Regenmantel gewickelt.
»Jetzt lass ihn los«, rief Rumer
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