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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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seit der Regierungszeit Glaubons ist.«
      »Und was ist ein ›Gwarndlist‹?« fragte ich.
      Der Prior schien ein wenig verlegen zu sein.
      »Das ist ein Anhänger von Bghis Gwarndl, einem Großherrscher, der vor neunzig Jahren regierte. Es ist mir peinlich, davon zu sprechen… dieser unglückselige Gwarndlist hatte bei uns Zuflucht gesucht, also hatten wir ihm Asyl gewährt; der Arme saß immer in dieser Ecke und täuschte einen Wahnsinnigen vor; deshalb galt er für unzurechnungsfähig und konnte sagen, was er wollte… vor einem Monat ließ er sich einfrieren, um ›bessere Zeiten‹ zu erleben… so hatte ich daran gedacht, daß man Sie notfalls verkleiden könnte… nicht wahr? Ich wollte Sie davon unterrichten, aber ich hatte nicht mehr die Zeit dazu. Ich hatte nicht angenommen, daß ausgerechnet heute eine Kontrolle kommen würde, es gibt ab und zu welche, aber in letzter Zeit sind sie ziemlich selten.«
      Ich begriff kein Wort von alledem. Übrigens harrten meiner erst jetzt unangenehme Mühen, denn der Klebstoff, den die Destruktianermönche benutzt hatten, um mich in den »Gwarndlisten« zu verwandeln, haftete schrecklich; ich hatte den Eindruck, daß sie mir zusammen mit den künstlichen Rüpsen und Grenseln ganze Stücke lebenden Fleisches vom Leib rissen; ich schwitzte, stöhnte, bis ich endlich wieder halbwegs menschlich aussah und mich zur Ruhe begeben konnte. Der Prior erwog später, mich vielleicht körperlich umzuwandeln, auf eine natürlich umkehrbare Weise, aber als man mir auf einer Zeichnung zeigte, wie ich dann aussehen würde, entschied ich mich doch für das weitere Risiko der Zensurwidrigkeit. Die gesetzlich empfohlenen Formen waren in meinen Augen nicht nur monströs, sondern auch höchst unbequem; man konnte sich mit ihnen zum Beispiel nicht hinlegen, sondern mußte hängend schlafen.
      Da ich mich erst spät zur Ruhe begab, war ich nicht genügend ausgeschlafen, als mir mein junger Beschützer das Frühstück in die Zelle brachte und mich weckte; nun begriff ich erst richtig, wie groß die Gastfreundlichkeit war, die man mir angedeihen ließ, denn die Mönche selbst aßen nichts. Was das Wasser betrifft, so hatten sie wahrscheinlich einen Akkumulatorenantrieb und gebrauchten destilliertes Wasser, aber für den ganzen Tag reichten ihnen ein paar Tropfen. Um mich beköstigen zu können, mußten sie dagegen Ausflüge in den Möbelhain unternehmen. Diesmal bekam ich eine nicht schlecht zubereitete Sessellehne. Wenn ich sage, daß sie gut gekocht war, so heißt das noch lange nicht, daß sie mir schmeckte, aber ich änderte angesichts der mühevollen kulinarischen Umstände schon beim Essen meine Meinung über dieses Problem.
      Ich stand noch immer unter dem Eindruck der nächtlichen Kontrolle und konnte sie nicht mit dem vereinbaren, was ich bisher in dem Geschichtswerk gelesen hatte. Gleich nach dem Frühstück machte ich mich deshalb an das weitere Studium.
      Seit dem Beginn der Autoevolution spalteten tiefe Meinungsverschiedenheiten in grundsätzlichen Fragen das Lager des körperlichen Fortschritts. Die Opposition der Konservativen verschwand bereits vierzig Jahre nach der großen Entdeckung; man nannte sie finstere Rückschrittler. Die Fortschrittlichen hingegen zerfielen in die Imnudisten, Zielophilen, Vermenger, Linierer, Knetianer und in viele andere Parteien, deren Namen und Programme ich nicht behalten habe. Die Imnudisten verlangten, die Obrigkeit müsse einen vollkommenen körperlichen Prototyp festlegen, der dann mit einem Schlag eingeführt werden solle. Die Zielophilen, die kritischer eingestellt waren, glaubten, daß sich eine solche Vollkommenheit nicht sofort erreichen lasse, sie sprachen sich daher eher für einen Weg zum idealen Körper aus, aber es war nicht eindeutig, was für ein Weg das sein sollte und vor allem, inwieweit er für die Übergangsgenerationen unangenehm sein konnte. In dieser Frage zerfielen sie in zwei Gruppen. Andere, zum Beispiel die Linierer und die Vermenger, behaupteten, daß es sich lohne, bei verschiedenen Anlässen unterschiedlich auszusehen, und sie sagten auch, daß der Mensch nicht schlechter sei als die Insekten. Wenn sie in ihrem Leben Metamorphosen durchlaufen, dann könnte dies auch der Mensch – das Kind, der Halbwüchsige, der Jüngling, der erfahrene Mann seien Verkörperungen grundsätzlich verschiedener Muster. Die Knetianer hingegen waren Radikale; sie bezeichneten das Skelett als altmodisches Überbleibsel,

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