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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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verkündeten das Abgehen vom Wirbelsäulenbau und priesen die weiche Allplastizität. Ein Knetianer konnte sich selbst so modellieren oder körperlich kneten, wie es ihm gefiel; wenigstens im Gedränge war das praktisch und auch hinsichtlich der fertigen Kleidung in verschiedenen Größen; einige von ihnen walkten und rollten sich in die wunderlichsten Formen, indem sie je nach Lage und Geisteszustand ihre Stimmungen in Selbstgliederung ausdrücken wollten; ihre Widersacher verliehen ihnen den verächtlichen Schimpfnamen Pfützer.
      Um der Gefahr der körperlichen Anarchie vorzubeugen, wurde das BÜPROKÖPS ins Leben gerufen, ein Büro für Projekte des Körpers und der Psyche, das den Markt mit verschiedenen, aber stets erprobten Varianten von Körpergestaltungsplänen beliefern sollte. Dennoch gab es noch immer kein Einvernehmen hinsichtlich der Hauptrichtung der Autoevolution: Sollte man Körper anfertigen, mit denen man möglichst angenehm leben konnte, oder solche, die den Individuen das Einleben in das gesellschaftliche Sein besonders erleichterten, sollte man den Funktionalismus oder die Ästhetik vorziehen, die Kraft des Geistes oder die der Muskeln potenzieren; denn man konnte zwar gut in Gemeinplätzen über Harmonie und Perfektion reden, die Praxis indes wies nach, daß nicht alle wertvollen Merkmale sich vereinen ließen; zahlreiche schlossen einander aus.
      Auf jeden Fall kam es auf der ganzen Linie zur Abkehr vom natürlichen Menschen. Die Experten überboten einander in der Beweisführung, wie primitiv und schlecht er doch von der Natur erschaffen sei; die Körpermetrie und die somatische Ingenieurkunst der Zeit wiesen in ihrem Schrifttum deutlich Einflüsse der Doktrin von Donderwars auf; die Hinfälligkeit des natürlichen Organismus, seine senilisierende Bewegung zum Tode, die Tyrannei der alten Triebe über den später entstandenen Verstand waren harter Kritik ausgesetzt, und das Schrifttum wimmelte von Vor würfen über die Flachfüßigkeit, die Tumore, das Herausfallen von Wirbeln und über tausend andere Leiden, die durch die evolutive Pfuscherei und Nachlässigkeit, genannt »Maulwurfsarbeit«, der verschwenderisch-ideenlosen, weil blinden Evolution des Lebens hervorgerufen wurden.
      Die späten Nachkommen schienen an der Natur Revanche nehmen zu wollen für das düstere Schweigen, mit dem ihre Urgroßväter die Enthüllungen über die Affenabkunft des Dychthoniers schlucken mußten; man verspottete die sogenannte arboreale Passage, das heißt die These, daß zuerst irgendwelche Tiere auf den Bäumen Schutz suchten, aber dann, als die Wälder durch die Versteppung verschwanden, zu rasch auf den Erdboden herunterkriechen mußten. Einigen Kritikern zufolge hatten die Erdbeben die Anthropogenese verursacht, denn wer lebte, stürzte dadurch aus dem Geäst, also entstanden die Menschen gewissermaßen wie Falläpfel. All das waren natürlich grobe Vereinfachungen, aber das Schimpfen auf die Evolution gehörte zum guten Ton. BÜPROKÖPS vervollkommnete unterdessen die inneren Organe, stärkte die Wirbelsäule, machte sie elastischer, verfertigte Reserveherzen und Reservenieren, aber all das befriedigte die Extremisten nicht, die mit demagogischen Losungen wie »Weg mit dem Kopf« (weil er zu eng sei), »Das Hirn in den Bauch« (weil darin mehr Platz sei) und so weiter auftraten.
      Der hitzigste Streit entbrannte um die geschlechtlichen Fragen, denn während die einen meinten, all dies sei höchst geschmacklos und man müsse »etwas von Blumen und Schmetterlingen« nehmen, verlangten andere dagegen, indem sie die Verlogenheit der Platoniker anprangerten, sogar eine Ausweitung und Eskalation dessen, was vorhanden war. Unter dem Druck der extremen Gruppierungen richtete BÜPROKÖPS Briefkästen für Rationalisierungseinfälle in den Städten und Siedlungen ein; Lawinen von Entwürfen wurden gemacht, die Etatstellen wuchsen zu einer Macht an, und nach einer Dekade hatte die Bürokratie die Autokreation dermaßen an die Wand gedrückt, daß BÜPROKÖPS in Vereinigungen zerfiel und dann in Institute wie KWUG (Kommis sion für Fragen Wundervoller Gesichter), ZIVÄEX (Zentrales Institut für volle Ästhetisierung der Extremitäten), IVRANA (Institut für Verallgemeinerung einer Radikal Neuen Anatomie) und viele andere. Es wimmelte von Kongressen und Konferenzen zur Frage der Gestaltung der Finger, man diskutierte über den Rang und die Zukunft der Nase, über die Perspektive der Rücken, wobei das

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