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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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mit der Methode der Kristallisation, der Klonbildung oder mit hundert anderen Methoden, und in ihrer an die Transzendenz gerichteten Bewunderung wäre gewissermaßen die Absicht verwirklicht, die den einstigen Stoßgebeten eigen war. Aber eine solche Vervielfältigung von Gläubigen müßte uns wie eitler Hohn vorkommen. Bedenke, daß wir nicht gegen Mauern anrennen, die gegen unsere Wünsche durch körperliche und angeborene Beschränkungen errichtet worden sind, weil wir sie zertrümmert haben und in den Raum absoluter kreativer Freiheit getreten sind. Ein Kind kann jetzt einen Toten wiedererwecken, kann Staub und Schrott Geist einflößen, kann Sonnen zerstören und entfachen, denn solche Techniken gibt es – der Umstand hingegen, daß nicht ein jeder Zutritt zu ihnen hat, ist, wie du wohl begreifen wirst, kein Problem für das theologische Denken. Die Grenze des Handelns, die durch den Buchstaben der Schriften gesetzt worden war, wurde erreicht und damit übertreten. Die Grausamkeiten der alten Beschränkungen wurden durch die Grausamkeit ihres völligen Fehlens ersetzt. Wir glauben nicht, daß der Schöpfer seine Liebe zu uns hinter der Maske dieser beiden alternativen Qualen verbirgt und uns deshalb harten Prüfungen unterzieht, damit er schwieriger zu erraten sei; und die Aufgabe der Kirche liegt nicht darin, daß sie beide Niederlagen – die der Sklaverei und die der Freiheit – als Wechsel auf die Offenbarung bezeichnet, die die himmlische Buchhaltung mit einem Überschuß decken wird. Die Vision des Himmels als Zahlkasse und der Hölle als Gefängnis für zahlungsunfähige Schuldner ist in der Glaubensgeschichte eine zeitweilige Sinnestäuschung. Die Theodizee ist kein sophistisches Praktikantentum der Verteidigung des Herrgotts und der Glaube auch keine Ermutigung, daß es am Ende schon irgendwie gehen wird. Die Kirche ändert sich, und der Glaube ändert sich; beide nämlich sind in der Geschichte gelagert: Man muß also das Kommende vorwegnehmen, und eben dieser Aufgabe dient mein Orden.«
      Diese Worte verwirrten mich gehörig. Ich fragte, wie denn die duistische Theologie das, was auf dem Planeten geschehe (wohl doch nichts Gutes, obwohl ich das nicht genau wüßte, da ich in der Lektüre erst bis zum 26. Jahrhundert gekommen sei), mit der offenbarten Schrift (von der ich keine Kenntnis hätte) in Einklang bringe.
      Pater Memnar antwortete mir darauf, während der Prior schwieg: »Der Glaube ist absolut notwendig und zugleich völlig unmöglich. Unmöglich ist er, wenn er ein für allemal gültig sein soll, denn es gibt kein solches Dogma, in dem sich das Denken mit der Gewißheit verwurzeln kann, daß es für immer geschehe. Wir haben die Heilige Schrift fünfundzwanzig Jahrhunderte hindurch mit der Taktik elastischer Rückzüge verteidigt, mit immer vageren Interpretationen des Buchstabens – so lange, bis wir verloren hatten. Wir haben keine Buchhaltervision von der Transzendenz mehr, Gott ist weder ein Tyrann noch ein Hirte, auch kein Künstler, kein Polizist, kein Hauptbuchhalter des Daseins. Der Glaube an Gott muß sich jeglicher Interessiertheit entäußern, allein schon dadurch, daß ihn niemals etwas honorieren wird. Wenn es sich erweisen sollte, daß Gott imstande ist, das zu bewirken, was im Widerspruch zu den Sinnen und der Logik steht, wird das eine düstere Überraschung sein. Er war es doch – wer denn sonst? –, der uns die Formen des logischen Denkens gegeben hat, und außer diesem Denken besitzen wir nichts zum Erkennen. Wie können wir also behaupten, daß der Glaubensakt ein Akt der Entäußerung des logischen Verstandes sei? Wozu denn erst den Verstand geben, wenn man ihm dann mit Widersprüchen, die er selbst auf seinem Weg findet, hohnspricht?
      Um sich in Geheimnisse und Rätsel zu hüllen? Um uns zuerst zu gestatten, die Diagnose zu stellen, daß es dort nichts gibt, und dann, wie ein Falschspieler, der eine Karte aus dem Ärmel zieht, das Paradies hervorzuholen? So denken wir nicht. Deshalb verlangen wir von Gott keine Leistungen auf Grund unseres Glaubens; wir stellen keine Ansprüche an ihn, denn wir haben die Theodizee begraben, die sich auf das Modell einer Handelstransaktion und den Austausch von Dienstleistungen stützte: ›Ich rufe dich ins Sein, du wirst mir dienen und mich preisen.‹«
      Unter diesen Umständen fragte ich immer hartnäckiger, was sie, die Mönche und Theologen, denn eigentlich täten, wie sie sich zu Gott stellten, wenn sie weder

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