Sterntagebücher
sei. Dieses Preisen brachte es mit sich, daß die Ausbesserungsarbeiten verspätet einsetzten, und führ te zur Entstehung sogenannter Nichtender oder Penter (poly-Nter), die die Orientierung im eigenen Körper verloren, weil es davon so viele gab; sie verloren sich darin, indem sie sogenannte Knötel bildeten; manchmal konnte man sie ohne den Rettungsdienst gar nicht entwirren. Die Reparatur des Computers brachte keinen Erfolg – »Kaputter« genannt, wurde er schließlich in die Luft gesprengt. Die Erleichterung, die danach herrschte, währte nicht lange, denn die bedrückende Frage, was weiter mit dem Körper geschehen sollte, stellte sich immer wieder.
Zum erstenmal fragten damals schüchterne Stimmen, ob es sich nicht lohnen würde, zum alten Aussehen zurückzukehren, aber sie wurden als reaktionär verurteilt. In den Wahlen des Jahres 2520 siegten die »Belieber« oder Relativisten, denn ihr demagogisches Programm setzte sich durch, wonach jeder so aussehen möge, wie er es wünsche; Beschränkungen des Aussehens sollten nur funktionell sein: Der Bezirkskörperarchitekt bestätigte die Projekte, die für ein leistungsfähiges Existieren geeignet waren, und um den Rest kümmerte er sich nicht. Diese Projekte warf der BÜPROKÖPS in wahren Lawinen auf den Markt. Die Historiker bezeichnen die Periode der Automorphie unter dem Sompsuter als die Epoche der Zentralisierung und die späteren Jahre – als Reprivatisierung.
Der Umstand, daß das individuelle Aussehen der privaten Initiative überlassen wurde, führte nach einigen Dekaden zu einer neuen Krise. Allerdings verkündeten bereits einige Philosophen folgendes: Je größer der Fortschritt ist, desto mehr Krisen gibt es, und wenn es an Krisen fehlen sollte, müßte man sie gar auslösen, denn sie aktivieren, vereinen, wecken den schöpferischen Eifer und Kampfeswillen und verbinden geistig sowie materiell – mit einem Wort, sie regen die Gesellschaft zur Zusammenarbeit an, und wenn es an ihnen gebricht, dann grassieren Stagnation, Marasmus und andere Zerfallserscheinungen. Diese Anschauungen vertrat die Schule der sogenannten Optisemisten, das heißt die Philosophen, die aus der pessimistischen Einschätzung der Wirklichkeit Optimismus für die Zukunft schöpften.
Die Periode der privaten Initiative des Körperwesens währte ein Dreivierteljahrhundert. Zunächst genoß man die wiedergewonnene Freiheit der Automorphie in vollen Zügen, wieder ging die Jugend voran mit den Keuchern und den Lärmern der Burschen, mit den Ziergliedern der Mädchen, aber bald traten Reibungen zwischen den Generationen auf, denn es kam zu Konflikten unter dem Zeichen der Askese. Die jungen Leute warfen den älteren Lebensgier vor, ein passives, rein konsumptionelles Verhältnis zum Körper, seichten Hedonismus, vulgären Wettlauf nach Sinnenlust und nahmen, um sich von ihnen zu unterscheiden, absichtlich abscheuliche Formen an, die höchst unbequem, geradezu scheußlich waren (Spreizer, Gweidler). Sie demonstrierten Verachtung gegenüber jeglicher Utilität und brachten sich Augen unter den Achseln an, während das junge biotische Aktiv zahllose gezüchtete Klangorga ne benutzte (Trömmler, Harfensträhner, Gulgongs, Mandolklimper). Es wurden Massenbrüllstunden organisiert, bei denen die Solisten, die man Nachtigeiler nannte, die begeisterte Menge in krampfartige Zuckungen versetzten. Dann kam die Mode oder vielmehr die Manie auf, lange Greifarme zu tragen, die in ihrem Kaliber und in der Greifkraft einer Eskalation nach dem typisch jugendlichen, brüstenden Prinzip »Ich werd’s dir zeigen!« unterlagen. Da aber niemand diese Schlangengeflechte selbst tragen konnte, fügte man sich selbst sogenannte Folger (Schwanzträger) bei, das heißt einen selbstschreitenden Behälter, der aus dem Kreuz herauswuchs und auf zwei festen Waden die Last der Greifarme hinter ihrem Eigentümer herschleppte. Ich fand in dem Lehrbuch Holzschnitte, die die Stutzer zeigten, hinter denen die Folger die Greifarmbündel auf der Promenade hertrugen; das war schon der Niedergang der Manifestation und eigentlich ihr völliger Zusammenbruch, denn sie verfolgte keine eigenen Ziele, sondern war lediglich eine revoltierende Reaktion auf den orgiastischen Barock der Epoche.
Dieser Barock hatte seine Apologeten und Theoretiker, die verkündeten, daß es den Körper deshalb gäbe, damit man die größte Menge an Annehmlichkeiten an vielen Stellen auf einmal haben könne. Merg Barb, sein
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