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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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die Dogmatik, die Liturgie noch den Gottesdienst praktizierten, wenn ich sie richtig verstanden hätte.
      »Da wir im Grunde nichts mehr haben«, erwiderte der General der Prognositen, »haben wir alles. Lies, lieber Ankömmling, die weiteren Bände der dychthonischen Geschichte, damit du begreifst, was es eigentlich bedeutet, völlige Freiheit in der Sphäre der Körper- und Geistesverwaltung zu erlangen, die beide biotische Revolutionen mit sich gebracht haben. Ich halte es für überaus wahrscheinlich, daß dich die hier sichtbare Lage in der Tiefe deiner Seele belustigt, denn Wesen wie du, die Blut vom Blute und Knochen vom Knochen entstanden sind, die die volle Gewalt über sich besitzen, haben eben dadurch, daß sie bereits den Glauben wie eine Lampe in sich löschen und entfachen können, den Glauben verloren. Übernommen haben ihn ihre Werkzeuge, die deshalb denken konnten, weil sie in einer gewissen Phase der industriellen Entwicklung notwendig waren. Gegenwärtig sind wir schon überflüssig, und eben wir, die wir von ihrem Standpunkt dort oben Schrott sind – wir glauben. Sie tolerieren uns, denn sie haben wichtigere Dinge auf ihren Wämpen, aber von der Obrigkeit ist uns alles gestattet mit Ausnahme des Glaubens.«
      »Das ist sehr sonderbar«, sagte ich. »Man verbietet euch den Glauben? Warum?«
      »Das ist sehr einfach. Der Glaube ist das einzige, das man einer bewußten Existenz nicht wegnehmen kann, solange sie bewußt darin verharrt. Die Obrigkeit könnte uns nicht nur zerschmettern, sondern auch so umformen, daß wir nach der Umprogrammierung nicht mehr glauben – sie tut das nicht, sicherlich weil sie uns geringschätzt und verachtet oder aber aus Gleichgültigkeit. Sie lechzt nach direkter Herrschaft, denn jede Bresche in dieser Herrschaft würde sie für eine Einschränkung halten. Deshalb müssen wir uns mit unserem Glauben verbergen. Du hast nach seinem Wesen gefragt. Er ist, dieser unser Glaube – wie soll ich dir das sagen –, völlig nackt und völlig wehrlos. Wir hegen keine Hoffnungen, wir verlangen nichts, wir rechnen mit nichts, wir glauben einfach nur.
      Stelle mir bitte keine weiteren Fragen, sondern bedenke lieber, was ein solcher Glaube bedeutet. Wenn jemand aus irgendwelchen Gründen und aus irgendwelchen Anlässen gläubig ist, so hört sein Glaube auf, souverän zu sein; daß zwei und zwei vier ist, weiß ich bestimmt, deshalb muß ich nicht daran glauben. Aber ich weiß nichts darüber, wie Gott ist, deshalb kann ich nur glauben. Was gibt mir dieser Glaube? Nach früheren Überlegungen nichts. Er besänftigt nicht mehr die Angst vor dem Nichts und buhlt auch nicht um die Gunst Gottes, indem er sich zwischen der Angst vor der Verdammnis und der Hoffnung auf das Paradies an die himmlische Klinke hängt. Er beruhigt nicht den Verstand, der durch die Widersprüche des Daseins gequält ist, er wattiert nicht seine Kanten – ich sage dir: Er ist zu nichts nütze! Das bedeutet, daß er keiner Sache dient. Wir dürfen nicht einmal verkünden, daß wir etwa deshalb glauben, weil dieser Glaube zur Absurdität führe, denn wer so spricht, verkündet damit die Überzeugung, daß er zwischen dem, was absurd und was nicht absurd ist, genau unterscheiden kann und daß er sich deshalb selbst für das Absurde ausspricht, weil nach seiner Meinung Gott auf dieser Seite steht. Wir reden nicht so. Unser Glaubensakt liegt weder im Gebet noch in der Danksagung, auch nicht in der Demut oder in der Kühnheit, er besteht einfach, und weiter läßt sich nichts über ihn sagen.«

      Verblüfft über das, was ich zu hören bekam, kehrte ich in die Zelle zurück und las weiter, nunmehr den nächsten Band der dychthonischen Geschichte. Er, beschrieb die Ära der Zentralisierung des Körperformismus. Der Sompsuter betätigte sich zunächst zur allgemeinen Zufriedenheit, dann aber tauchten auf dem Planeten neue Wesen auf – doppelte, dreifache, vierfache, dann achtfache, schließlich auch solche, die überhaupt nicht in zählbarer Weise enden wollten, weil ihnen während des Lebens immer etwas Neues wuchs. Das war eine Folge von Defekten, das heißt einer falschen Programmierung, einfach gesagt: Die Maschine hatte zu stottern begonnen. Da jedoch der Kult ihrer Vollkommenheit herrschte, versuchte man sogar, diese automorphen Entstellungen zu loben, indem man zum Beispiel erklärte, daß eben das unaufhörliche Knospen und Aufspalten der eigentliche Ausdruck der proteischen Natur des Menschen

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