Sterntagebücher
führender Vertreter, erläuterte, daß die Natur die Zentren der angenehmen Empfindungen im Körper – übrigens recht geizig – deshalb angebracht habe, damit er leben könne; daher sei nach ihrem Gebot keine Empfindung autonom, sondern eine jede diene einem bestimmten Ziel: sei es, um in der Nachkommenschaft die Fortsetzung der Art sicherzustellen und so weiter. Mit diesem aufgezwungenen Pragmatismus müsse man radikal brechen; die bisherige Passivität bei der Projektierung der Körper sei ein Symptom des Mangels an perspektivischer Phantasie; die lukullischen oder erotischen Genüsse seien ein klägliches Nebenprodukt der Befriedigung angeborener Instinkte, das heißt der Tyrannei der Natur; die Befreiung des Geschlechts, deren Zeugnis die Ektogenese sei, genüge nicht, denn der Sex habe weder eine erhebliche kombinatorische noch konstruktive Zukunft vor sich; was es dort auszudenken gebe, habe man längst verwirklicht, und nicht darin liege der Sinn der automorphen Freiheit, daß sie geradlinig dies oder jenes erweitere, indem sie einfach plagierende Vergrößerungen von sexuellem Gerümpel mache. Man müsse sich völlig neue Organe ausdenken, die ausschließlich darum funktionieren sollen, damit ihr Besitzer es gut, immer besser, lustvoll, geradezu himmlisch habe.
Barb wurde von einer Gruppe junger fähiger Projektanten aus dem BÜPROKÖPS unterstützt, die das Rüpsen und das Handen erfanden; man verkündete sie mit großem Aufwand in Reklameschriften, die garantierten, daß die früheren Freuden des Magens oder Geschlechts ein dümmliches In-der-Nase-Bohren im Vergleich zum Rüpsen und zum Handen seien; in die Hirne wurden Zentren des ekstatischen Empfindens eingebaut, die speziell von den Ingenieuren der Nervenwege programmiert wurden, wobei man sie etagenförmig einrichtete. So entstand der Hande- und der Rüpsetrieb sowie die diesen Instinkten eigentümlichen Tätigkeiten mit einer überaus reichen und differenzierten Skala, denn man konnte abwechselnd oder gleichzeitig, solo, im Duett, im Terzett, und dann, nach dem Anstückeln der Rastler, auch in Gruppen von mehreren Dutzend Personen rüpsen und handen. Es entstanden auch neue Kunstarten, denn es tauchten Artisten auf, die rüpsten und handeten, aber auch das war noch nicht alles; gegen Ende des 26. Jahrhunderts erschienen Barockformen von Zungentretern, große Erfolge hatte ein Fersenbeißer, und der berühmte Ondur Steredon, der gleichzeitig handen, rüpsen und Mandel spielen konnte, während er mit Wirbelflügeln flog, wurde von der Menge vergöttert.
Auf dem Höhepunkt der Barockperiode kam der Sex aus der Mode; ihn pflegten nur kleine Vereinigungen, die der Komassaten und der Separatisten. Die Separatisten, die die Zügellosigkeit befehdeten, vertraten die Ansicht, daß es sich nicht schicke, mit demselben Mund Kohl zu essen, mit dem man den Geliebten küsse. Unerläßlich sei ein besonderer, der sogenannte platonische Mund, und am besten wäre es, wenn man gleich einen ganzen Satz davon hätte, je nach Bestimmung (für Verwandte, Bekannte und für die auserwählte Person). Die Komassaten, die dem Funktiona lismus huldigten, wirkten im umgekehrten Sinne, sie verbanden alles, was sich verbinden ließ, zur Vereinfachung des Organismus und des Lebens. Der Niedergang dieses Stils, wie gewöhnlich extravagant und wunderlich, schuf so eigenartige Gestalten wie die kokette Taburette und den Sechsling, der an einen Zentauren erinnerte, aber statt Hufe vier nackte Füße hatte, die mit den Zehen einander zugekehrt waren: Man nannte ihn auch Stampfer, nach einem Tanz, bei dem energisches Stampfen ein Grundelement bildete. Jedoch der Markt zeigte Sättigung und Ermüdung. Es fiel schwer, mit einem neuartigen Körper aufzufallen; man benutzte Ohrenklappen aus natürlichem Horn; Ohrmuscheln, die stigmatische Bilder durchscheinen ließen, fächelten mit blassem Rosa die Wangen der Damen aus der Gesellschaft; und man versuchte, auf gekrümmten Quasibeinen zu gehen. BÜPROKÖPS lieferte aus purer Trägheit weitere Projekte, man spürte jedoch das nahende Ende dieser Formation.
Vertieft in die Lektüre, war ich inmitten der Bücher, in dem Licht der Lampen, die über mir an der Decke herumkrochen, eingenickt, ohne zu wissen, wann. Erst der ferne Klang der Morgenglocken weckte mich. Sogleich erschien auch mein junger Mönch, um zu fragen, ob ich vielleicht eine Abwechslung wünsche – wenn ja, so bitte der Prior, daß ich ihn bei seiner Rundreise
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