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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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fragen.
      Das Gespräch, das sich bei diesem einsamen Mittagessen entspann – denn ich allein nahm es ein –, hatte sich wieder der transzendentalen Thematik zugewandt. Ich wollte erfahren, was die letzten Gläubigen Dychthoniens über die Fragen von Gut und Böse, Gott und Teufel dachten, und als ich diese Frage stellte, trat eine längere Stille ein. Nur die gestreiften Lampen summten leise in den Ecken des Refektoriums, vielleicht war das auch der Strom der Prognositenpater.
      Schließlich ergriff ein mir gegenübersitzender älterer Computer das Wort, der, wie ich später von Pater Darg erfuhr, Religionshistoriker war.
      »Das Ziel fest vor Augen, würde ich unsere Anschauungen so formulieren«, sagte er. »Der Satan ist das, was wir in Gott nicht begreifen. Das bedeutet nicht, daß wir glauben, Gott selbst bilde eine Allianz des höheren und des niederen Elements, des Guten und des Bösen, der Liebe und des Hasses, der Macht des Schaffens und der Gier, etwas zu zerstören. Der Satan ist der Gedanke, daß man Gott einschränken, klassifizieren, absondern kann, indem man eine fraktionierte Destillation so durchführt, daß er das und nur das wird, was wir akzeptieren können und wovor wir uns nicht mehr schützen wollen. Dieser Gedanke läßt sich innerhalb der Geschichte nicht aufrechterhalten, denn seine unvermeidliche Konsequenz wäre die Schlußfolgerung, daß es kein anderes Wissen gibt als jenes, das vom Satan herrührt, und daß er sich so lange ausdehnt, bis er alles, was sich Wissen aneignet, vollends verschluckt hat. Und das darum, weil das Wissen nach und nach die Direktiven vernichtet, die als die offenbarten Gebote bezeichnet werden. Es gestattet, zu töten, ohne daß man tötet, und zu zerstören – jedoch so, daß dieses Zerstören Neues schafft; es verflüchtigen sich durch seine Vermittlung Personen, denen Ehre gebühren sollte, so zum Beispiel der Vater und die Mutter, und es stürzen dadurch Dogmen ein, wie das von der übernatürlichen unbefleckten Empfängnis und von der unsterblichen Seele.
      Wenn das Versuchungen des Teufels gewesen sind, dann ist alles, was man berührt, eine teuflische Versuchung, und man könnte nicht einmal behaupten, daß der Teufel die Zivilisation verschlungen habe, nicht aber die Kirche, weil die Kirche nach und nach, obwohl widerstrebend, die Zustimmung zum Erlangen des Wissens erteilt, und es gibt auf diesem Wege keine Stelle, an der sie sagen könnte »bis hierher und nicht weiter!«, denn niemand, sei es innerhalb oder außerhalb der Kirche, vermag zu wissen, worin die Folgen des heute Erkannten bestehen werden. Die Kirche kann dem Fortschritt von Zeit zu Zeit Schlachten liefern, aber wenn sie eine Front verteidigt, sagen wir die Unantastbarkeit der Empfängnis, vollzieht der Fortschritt, anstatt einen frontalen Kampf zu führen, ein Umkreisungsmanöver, mit dem er den Sinn der verteidigten Positionen liquidiert. Vor tausend Jahren verteidigte unsere Kirche die Mutterschaft, und da liquidierte das Wissen den Begriff der Mutter, indem es zunächst den Akt der Mutterschaft in zwei Teile spaltete, indem es ihn dann aus dem Körper verlegte, nach außen also, und indem es schließlich eine Synthese des Keims vollzog, so daß nach drei Jahrhunderten ihre Verteidigung jeglichen Sinn verloren hatte. Damals mußte die Kirche der Befruchtung aus der Entfernung und der Empfängnis im Laboratorium zustimmen, der Geburt in einer Maschine und dem Geist in der Maschine und der Maschine selbst, die der Sakramente teilhaftig wurde, und dem Verschwinden des Unterschieds zwischen dem natürlich geschaffenen und dem künstlichen Sein. Beharrte sie auf ihrem Standpunkt, dann müßte sie eines Tages erkennen, daß es keinen anderen Gott als den Satan gibt.
      Um Gott zu retten, haben wir die Historizität des Satans anerkannt, das heißt seine Evolution als die sich in der Zeit verändernde Projektion all jener Merkmale, die uns im Erschaffenen zugleich entsetzen und niederstauchen. Der Satan ist der naive Gedanke, daß man zwischen Gott und Nichtgott unterscheiden könne wie zwischen Tag und Nacht. Gott ist ein Geheimnis, der Satan besteht in den zu einer Person vereinigten, teilweise abgesonderten Zügen dieses Geheimnisses. Es gibt für uns keinen überhistorischen Satan. Das einzige, was an ihm dauerhaft ist und was für eine Person gehalten wird, rührt von der Freiheit her. Du aber, lieber Gast und Ankömmling aus fernen Gegenden, mußt, wenn du mir zuhörst,

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