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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Meer von Tinte verschrieben hatten, zu dem mathematisch exakten und über jeden Zweifel erhabenen Ergebnis 0=0.
      Die Thomisten verkündeten, Gott habe die Naturgesetze erschaffen, um Wunder vollbringen zu können, denn das Wunder sei ein Verstoß gegen ein Naturgesetz, und wo es kein Gesetz gebe, da gebe es auch nichts, wogegen man verstoßen könne. Im vorliegenden Fall bewegten sich die Kartoffeln, wenn der Wille des Herrn dies geböte, aber es sei noch zu klären, ob das nicht ein Streich der verruchten Materialisten sei, die ja danach strebten, die Kirche in Mißkredit zu bringen; so müsse also der Spruch des höchsten Vatikankollegiums abgewartet werden.
      Die Neokantianer sagten, die Dinge seien Schöpfungen des Geistes und somit nicht erkennbar; wenn der Geist die Idee einer beweglichen Kartoffel geschaffen habe, dann müsse die bewegliche Kartoffel wohl existieren. Doch dies wäre nur der erste Eindruck, denn unser Geist sei ebensowenig erkennbar wie seine Bildungen; daher könne man nichts Genaues wissen.
      Die Holisten-Pluralisten-Behavioristen-Physikalisten sagten, daß – wie aus der Physik wohlbekannt – die Gesetzmäßigkeit in der Natur nur statistisch sei. Ebenso wie man den Weg eines einzelnen Elektronenteilchens nicht mit absoluter Genauigkeit vorhersagen könne, stehe auch nicht mit absoluter Gewißheit fest, wie sich eine einzelne Kartoffel verhalten werde. Die bisherigen Beobachtungen lehrten zwar, daß millionenmal der Mensch derjenige gewesen sei, der die Kartoffeln gerodet habe, es sei aber nicht ausgeschlossen, daß es einmal auf eine Milliarde Fälle auch umgekehrt geschehen könne, nämlich daß die Kartoffel den Menschen rode.
      Professor Urlipan, der einsame Denker, unterzog alle diese Schlußfolgerungen einer vernichtenden Kritik. Er stellte fest, daß der Mensch keinerlei Sinneseindrücke empfange, denn niemand nehme zum Beispiel die Sinnesempfindung eines Tisches wahr, außer dem Tisch selbst; da andererseits bekannt sei, daß über die Außenwelt nichts bekannt sei, so gebe es weder äußere Gegenstände noch Sinnesempfindungen. »Es gibt nichts«, verkündete Professor Urlipan. »Und wenn jemand anderer Ansicht ist, so irrt er.« Über die Kartoffeln lasse sich also nichts sagen, aber aus einem ganz anderen Grunde, als die Neokantianer behaupteten.
      Während nun Urlipan unbeirrt weiterarbeitete, ohne sein Haus zu verlassen, vor dem die Antikartofflisten mit faulen Kartoffeln lauerten – denn die Leidenschaft hatte die Geister umnachtet –, erschien auf der Szene – oder genauer: landete auf der Latris – Professor Tarantoga. Ohne der fruchtlosen Zwistigkeiten zu achten, beschloß er, das Geheimnis sine ira et studio zu ergründen, wie es einem echten Gelehrten zukommt. Er eröffnete seine Nachforschungen mit einem Besuch auf dem Nachbarplaneten, wo er Informationen von den Bewohnern einholte. Auf diese Weise erfuhr er, daß die rätselhaften Gebilde unter folgenden Namen bekannt waren: Tüffkes, Knollen, Erdäppel, Nieren, Erpeln, Krumpern, Arbern, Trüffel, Potacken, Arpun, Grundbirnen, Rundchen, Schocken, Bataten, Tataters, Kataken, Hollandsche, Tartuffeln. Das gab ihm zu denken, denn, wie aus Wörterbüchern ersichtlich, sind diese Bezeichnungen Synonyme unserer gemeinen Kartoffel.
      Mit bewundernswerter Beharrlichkeit und unvermindertem Eifer stieß Tarantoga zum Kern des Problems vor und hatte in fünf Jahren bereits eine Theorie beisammen, die eine erschöpfende Erklärung lieferte.
      Vor langer Zeit rammte ein für die Kolonisten auf der Latris bestimmter Kartoffeltransporter ein Meteorenriff. Ein Leck entstand, und die Ladung fiel heraus. Der Transporter wurde losgeschweißt und mit Rettungsraketen auf die Latris bugsiert, wonach die Geschichte in Vergessenheit geriet. Die in Tairien gelandeten Kartoffeln keimten indes und wuchsen, doch waren ihre Existenzbedingungen unerhört schwer, denn aus der Höhe hagelte es häufig Gesteinsbrocken, die die jungen Triebe zermalmten und selbst ganze Pflanzen abtöteten. Infolgedessen blieben von allen Erdäpfeln nur die umsichtigsten erhalten, jene nämlich, die sich einzurichten und geeignet zu schützen wußten. Die auf diese Weise geborene Sorte der schlauen Kartoffeln gedieh immer üppiger. Nach mehreren Generationen wurden die Kartoffeln der seßhaften Lebensweise überdrüssig, rodeten sich selbst und nomadisierten von da an. Zugleich büßten sie vollends die typische Sanftmut und Trägheit der

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