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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Raumanzug oben auf seiner Rakete seinen Nachmittagsspaziergang absolvierte. Daran war vieles übertrieben, jener Reisende nämlich – ein guter Bekannter von mir – hatte sich Tee über den Skaphander gegossen und hängte diesen zum Trocknen aus der Luke; in dem Augenblick torkelten sonderbare, schlaksige Gebilde heran und huschten mit dem Raumanzug von dannen.
      Schließlich herrschte auf den umliegenden Planeten solche Empörung, daß eine Sonderexpedition die Umgebung Tairiens durchforschen mußte. Einige ihrer Teilnehmer behaupteten, in den Wolken Tairiens schlangenhafte, krakenähnliche Gebilde wahrgenommen zu haben, diese Angaben wurden jedoch nicht überprüft, und so kehrte die Expedition nach einem Monat auf die Latris zurück – unverrichteterdinge, da sie sich nicht in die finsteren Regionen der Tairienwolken gewagt hatte. Hernach wurden noch andere Expeditionen gestartet, aber keine brachte irgendeinen Anhaltspunkt.
      Zu guter Letzt machte sich ein bekannter Sternalpinist, der tollkühne Ao Murbras, mit zwei Hunden – ebenfalls in Raumanzügen – auf die Reise, um die rätselhaften Wesen zu jagen. Fünf Tage später kam er, bis zum äußersten erschöpft, allein zurück. Wie er berichtete, waren vor Tairien plötzlich unzählige Gebilde aus dem Nebel getaucht, die ihn und seine Hunde mit ihren Greifarmen umschlangen; der tapfere Jäger zog das Messer, hieb blindlings drauflos und vermochte sich so aus den tödlichen Umarmungen zu retten, denen die Hunde indessen erlagen. Seine Schutzkleidung wies innen wie außen Spuren des Kampfes auf, und an einigen Stellen klebten grüne Fetzen wie von faserigen Strünken. Ein gelehrtes Kollegium untersuchte diese Überreste gewissenhaft und kam zu dem Schluß, es seien Fragmente eines vielzelligen Organismus, der auf der Erde wohlbekannt sei; es handele sich namentlich um Solanum tuberosum, ein vielsamiges Knollengewächs mit unterbrochen unpaarig fiederteiligen Blättern, das die Spanier im sechzehnten Jahrhundert aus Amerika nach Europa gebracht hätten. Allein diese Nachricht erhitzte die Gemüter sehr, kaum zu schildern aber war die Erregung, als jemand die gelehrten Ergüsse in die Umgangssprache übersetzte. Demnach hatte Murbras nämlich Reste von Kartoffelkraut auf seinem Raumanzug mitgebracht!
      Der brave Sternalpinist, zutiefst gekränkt, weil er vier Stunden lang gegen Kartoffeln gekämpft haben sollte, forderte das Kollegium auf, diese schändliche Verleumdung zu widerrufen, doch die Gelehrten weigerten sich, auch nur einen Buchstaben zurückzunehmen. Es herrschte allgemeine Empörung. Bald standen zwei Parteien einander gegenüber: die Kartofflisten und die Antikartofflisten. Sie breiteten sich zunächst über den Kleinen, dann auch über den Großen Bären aus; die Widersacher bewarfen sich mit den schwersten Beschimpfungen. All das verblaßte indessen vor dem Theater, als sich die Philosophen in den Streit einmengten. Aus England, Frankreich, Australien, Kanada und den Vereinigten Staaten eilten die prominentesten Theoretiker der Erkenntnislehre und Vertreter der reinen Vernunft herbei, und das Ergebnis ihrer Anstrengungen war verblüffend.
      Nach gründlicher Untersuchung des Problems kamen die Physikalisten zu dem Schluß: Wenn sich zwei Körper A und B bewegen, so könne das entweder heißen, A bewege sich im Verhältnis zu B oder aber B bewege sich im Verhältnis zu A. Da die Bewegung also ein relativer Begriff sei, könne es ebensogut heißen, daß sich der Mensch im Verhältnis zur Kartoffel, wie auch daß sich die Kartoffel im Verhältnis zum Menschen bewege. Somit sei die Frage, ob sich Kartoffeln bewegen können, sinnlos, und das ganze Problem ein scheinbares, das heißt, es existiere überhaupt nicht.
      Die Semantiker sagten, alles hänge davon ab, wie man die Worte »Kartoffel«, »ist« und »beweglich« verstehe. Da der Schlüssel dazu die operative Kopula »ist« sei, müsse diese exakt untersucht werden. Und sie gingen daran, eine Enzyklopädie der Kosmischen Semasiologie abzufassen, wobei sie in den ersten vier Bänden die operative Bedeutung des Wortes »ist« erörterten.
      Die Neopositivisten behaupteten, daß nicht Kartoffelknäuel unmittelbar gegeben seien, sondern Knäuel von Sinnesempfindungen – und sie schufen daraufhin logische Symbole, die »Empfindungsknäuel« sowie »Kartoffelknäuel« bezeichneten, stellten eine Satzrechnung aus lauter algebraischen Zeichen auf und gelangten, nachdem sie ein ganzes

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