Sterntagebücher
vor, den bisher unerforschten Arm der Galaxis, der sich hinter dem dunklen Orionnebel erstreckt, gemeinsam zu bereisen. Ich kannte den Professor noch nicht persönlich, und da mir daran lag, in den Ruf eines verläßlichen und pünktlichen Partners zu gelangen, suchte ich die ganze Kraft aus meiner Rakete herauszuholen – aber mir kam, wie es oft geschieht, wenn man sich besonders beeilen will, auch diesmal etwas Unvorhergesehenes in die Quere. Ein winziger Meteor hatte meinen Brennstofftank durchschlagen, geriet ins Auspuffrohr und verstopfte es. Ohne viel nachzudenken, legte ich den Raumanzug an und stieg, mit Werkzeug und einer starken Taschenlampe bewehrt, aus der Kabine. Während ich den Meteor mit der Zange entfernte, stieß ich versehentlich gegen die Lampe; die trudelte davon und begann selbständig durch den Weltenraum zu segeln. Ich machte das Loch im Tank dicht und begab mich wieder in die Kabine. Der Taschenlampe konnte ich jetzt nicht nachjagen, denn fast der ganze Treibstoffvorrat war mir ausgelaufen; mit Müh und Not erreichte ich noch den nächsten Planeten – es war Prozytien.
Die Prozyten sind vernunftbegabte Wesen und sehen uns sehr ähnlich; der einzige, übrigens geringfügige Unterschied besteht darin, daß ihre Beine nur bis an die Knie reichen, darunter haben sie Rädchen, die nicht etwa künstlich sind, sondern wirklich einen Teil des Körpers darstellen. Die Prozyten bewegen sich also sehr geschwind und anmutsvoll daher, Varietestars auf Einrädern vergleichbar. Ihr Wissen ist umfassend, besonderer Gunst aber erfreut sich bei ihnen die Astronomie; das Beobachten der Gestirne ist so beliebt, daß sich dort kein Passant, ob jung oder alt, jemals von seinem Handfernrohr trennt. Zur Zeitmessung werden ausschließlich Sonnenuhren benutzt, ja, es gilt als schwerer Verstoß gegen die Moral, wenn jemand in der Öffentlichkeit eine mechanische Uhr hervorholt. Die Prozyten haben auch verschiedene zivilisatorische Einrichtungen. Ich weiß noch, als ich zum erstenmal dort war, nahm ich an einem Bankett zu Ehren ihres berühmten Astronomen, des alten Maratilitec, teil. Ich unterhielt mich mit ihm über ein astronomisches Problem. Ein Wort gab das andere, der Professor opponierte, und schließlich wurde das Streitgespräch in so heftigem Ton geführt, daß der Greis mich fast mit seinen Blicken durchbohrte und jeden Moment vor Wut zu platzen drohte. Plötzlich stand er auf und verließ hastig den Raum. Fünf Minuten später kam er wieder und setzte sich neben mich, sanft lächelnd und friedlich wie ein Kind. Hinterher erkundigte ich mich neugierig, was denn diesen jähen Stimmungswandel verursacht habe.
»Wie bitte?« erwiderte der Gefragte. »Du weißt es nicht? Der Professor hat die Tobine benutzt.«
»Was ist denn das?«
»Es hängt mit ›Austoben‹ zusammen. Wenn einer sich ärgert oder auf jemand wütend ist, geht er in eine mit Korkmatratzen ausgelegte Kabine und läßt dort seinen Gefühlen freien Lauf.«
Als ich jetzt auf Prozytien landete, erblickte ich schon aus der Luft große Volksmassen in den Straßen. Lampions wurden geschwenkt, und frohes Geschrei scholl zu mir herauf. Ich überließ meine Rakete der Aufsicht des Bodenpersonals und begab mich in die Stadt. Wie ich erfuhr, wurde gerade die Entdeckung eines Sterns gefeiert, der vergangene Nacht am Himmel aufgetaucht war. Das gab mir zu denken, und als mich Maratilitec nach herzlicher Begrüßung an seinen mächtigen Refraktor einlud, begriff ich – kaum hatte ich mein Auge am Objektiv –, daß der angebliche Stern ganz einfach meine Taschenlampe war, die im Weltraum schwebte. Statt es den Prozyten mitzuteilen, beschloß ich leichtsinnigerweise, zu tun, als wäre ich ein besserer Astronom als sie.
Ich überschlug also kurz, wie lange die Batterie reichen würde, und verkündete sodann vor den Versammelten, daß der neue Stern sechs Stunden lang weiß, danach gelb und zuletzt rot leuchten werde, um schließlich ganz zu verlöschen. Die Vorhersage stieß auf allgemeinen Unglauben, und der alte Maratilitec rief in seiner charakteristischen Hitzköpfigkeit, er wolle seinen eigenen Bart verschlucken, wenn dies einträfe.
Der Stern begann in der von mir vorausgesagten Zeit schwächer zu werden, und als ich am Abend im Observatorium aufkreuzte, fand ich eine Schar betrübter Assistenten vor: Maratilitec hatte sich, zutiefst in seinem Stolz verletzt, im Arbeitszimmer eingeschlossen, um sein voreilig gegebenes
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