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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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wir Viererdrama oder unglückliche Liebe… Du siehst also, wenn wir ohne Vorurteile argumentieren, wenn wir uns ausschließlich auf wissenschaftliche Tatsachen stüt zen, den präzisen Apparat der Logik zu Hilfe nehmen und objektiv an die Sache herangehen, dann kommen wir unweigerlich zu dem Schluß, daß jedes vernunftbegabte Wesen einem Quintolen ähnlich sein muß… So. Na, ich hoffe, daß ich euch überzeugt habe…«

    ACHTUNDZWANZIGSTE REISE

    Schon bald werde ich diese vollgeschriebenen Blätter in ein leeres Sauerstoffäßchen legen und es über Bord werfen, den Tiefen des Alls übergeben, damit es in die schwarze Ferne enteilt, obwohl ich gar nicht damit rechne, daß es jemand finden wird. Navigare necesse est, aber offenbar höhlt diese maßlose Reise sogar meine Widerstandskraft aus. Ich fliege und fliege seit Jahren, und es ist kein Ende abzusehen. Schlimmer noch, die Zeit verwirrt sich, überschneidet sich, ich dringe in irgendwelche Verzweigungen und Fetzen, die außerhalb des Kalenders stehen, da ist weder Zukunft noch Vergangenheit, obwohl es zuweilen nach Mittelalter riecht. Es gibt eine besondere Methode, sich den Verstand in übermäßiger Einsamkeit zu bewahren, die mein Großvater Kosma erfunden hat. Sie besteht darin, daß man sich eine gewisse Anzahl Gefährten ausdenkt, sogar beiderlei Geschlechts, aber dann muß man sich konsequent an sie halten. Mein Vater hatte die Methode ebenfalls angewendet, obwohl sie ziemlich riskant ist. In der Stille hier verselbständigen sich solche Gefährten übermäßig, es gab Ärger und Komplikationen, einige trachteten mir sogar nach dem Leben, und ich mußte kämpfen, die Kajüte war ein wahres Schlachtfeld – von der Methode jedoch konnte ich nicht lassen, schon aus Loyalität gegenüber dem Großvater. Gott sei Dank, nun sind sie gefallen, und ich kann mich eine Weile ausruhen. Ich werde wohl, wie ich es oftmals vorhatte, darangehen, eine bündige Chronik meines Geschlechts zu schreiben, um dort, in den vergangenen Generationen, Kräfte zu schöpfen wie einst Antäus. Der Begründer der Hauptlinie der Tichys war Anonymus, geheimnisumwittert, eng verknüpft mit dem Einsteinschen Paradoxon von den Zwillingen. Einer von ihnen fliegt in den Kosmos, der andere bleibt auf der Erde, und nach der Rückkehr stellt es sich heraus, daß der Zurückkehrende jünger ist als der Zurückgebliebene. Als man den ersten Versuch machte, dieses Paradoxon zu lösen, meldeten sich zwei junge Leute, Kaspar und Hesekiel. Infolge des Durcheinanders beim Start setzte man sie beide in die Rakete. Das Experiment mißlang also, und was das schlimmste war – die Rakete kehrte nach einem Jahr nur mit einem Mann an Bord zurück. Der erklärte voller Trauer, sein Bruder habe sich zu weit hinausgelehnt, als sie über den Jupiter hinwegflogen. Man traute diesen schmerzerfüllten Worten jedoch nicht und klagte ihn, sekundiert von einer wüsten Pressehetze, der Bruderfresserei an. Als Sachbeweis diente der Staatsanwaltschaft ein Kochbuch, das man in der Rakete aufgestöbert hatte, mit einem rot angestrichenen Absatz »Über Pökeln im All«. Dennoch fand sich ein edler und zugleich vernünftiger Mensch, der die Verteidigung des Angeklagten übernahm. Er riet ihm, während des Prozesses nicht den Mund aufzumachen, ganz gleich, was geschehe. So konnte also das Gericht meinen Vorfahren trotz allen bösen Willens nicht verurteilen, denn im Urteilsspruch muß der Vor- und Zuname des Angeklagten angegeben sein. Die alten Chroniken berichten unterschiedlich – die einen, daß er schon vorher Tichy geheißen habe, die anderen, daß das ein Spitzname sei, der sich aus seinem Vorsatz, während der Verhandlung zu schweigen, ableite, denn er bewahrte sein Inkognito bis zu seinem Tode. Das Schicksal dieses meines Urahnen war wenig beneidenswert. Die Verleumder und Lügner, an denen es ja nie gebricht, behaupteten, daß er sich während der Verhandlung jedesmal die Lippen leckte, wenn der Name seines Bruders erwähnt wurde, wobei es die Verleumder gar nicht störte, daß niemand wußte, wer hier wessen Bruder war. Über die weiteren Geschicke dieses Vorfahren weiß ich nicht viel. Er hatte achtzehn Kinder und aus so manchem Ofen Brot gegessen, einige Zeitlang lebte er sogar als Hausierer vom Verkauf von Kinderraumanzügen. Im Alter wurde er Verfertiger neuer Schlußkapitel für literarische Werke. Da dieser Beruf wenig bekannt ist, möchte ich ihn näher erklären. Die Aufgabe bestand darin, jeweils

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