Sterntagebücher
den Schluß zu schreiben, den sich der Verehrer eines bestimmten Romans oder Dramas wünschte. Ein solcher Verfertiger muß, wenn er einen Auftrag übernimmt, sich in die Atmosphäre, in Stil und Geist des Werkes einfühlen, dem er einen neuen, einen anderen Schluß, als ihn der Autor geschrieben hat, hinzufügt. In den Familienarchiven sind einige vollgeschriebene Kladden erhalten, die davon zeugen, welch künstlerische Fähigkeiten der erste Tichy doch besessen hat. Da gibt es Othello-Versionen, in denen Desdemona Othello würgt, oder auch solche, wo sie, er und Jago zusammen leben und sich aneinander freuen. Da gibt es Varianten der Danteschen Hölle, in denen jeweils jene Personen besonderen Qualen ausgesetzt sind, die der betreffende Auftraggeber genannt hat, wobei es nur selten ein tragisches Finale der Autoren durch ein glückliches Ende zu ersetzen galt, häufiger war es umgekehrt. Die reichen Feinschmecker bestellten bei meinem Ahnen Epiloge, in denen im letzten Augenblick nicht die Tugend siegte, sondern, im Gegenteil, das Böse triumphierte. Jene begüterten Auftraggeber waren sicherlich von niedrigen Absichten beseelt, dennoch erzeugte mein Urahn, indem er das ausführte, was man bei ihm bestellte, wahre Kunstwerke und näherte sich, obschon unbeabsichtigt, der Lebenswahrheit mehr als die Autoren der Werke. Er mußte ja für den Unterhalt einer zahlreichen Familie sorgen, also tat er, was er konnte, nachdem ihm aus verständlichen Gründen die Weltraumfliegerei für immer verekelt war. Mit ihm beginnend, erschien in unserem Geschlecht im Verlaufe der Jahrhunderte der Typ des talentierten Menschen, der, in sich gekehrt, mit originellem Geist, mitunter zu Wunderlichkeiten neigend, hartnäckig das einmal gesetzte Ziel verfolgte. Im Familienarchiv fand ich viele Dokumente, die diese charakteristischen Züge bestätigen; eine der Nebenlinien der Tichys scheint in Österreich gelebt zu haben, genauer gesagt, in der einstigen österreichisch-ungarischen Monarchie, denn ich fand unter den Papieren der ältesten Chronik das vergilbte Foto eines stattlichen Jünglings in Kürassieruniform, mit Monokel und gezwirbeltem Schnurrbart, auf der Rückseite versehen mit den Worten »k. u. k. Kyberleutnant Adalbert Tichy«. Von den Taten dieses Kyberleutnants ist mir nur die eine bekannt: daß er – als ein Vorläufer der technischen Mikrominiaturisierung, in Zeiten, da nie mand auch nur davon träumte – den Plan vorgebracht hat, die Kürassiere von Pferden auf Ponys umzusatteln. Bedeutend mehr Materialien sind vorhanden, die über das Leben des Esteban Franz Tichy aussagen, eines brillanten Denkers, der – obwohl ohne Glück im persönlichen Leben – den Plan verfolgte, das Klima der Erde durch Beschütten der Polargebiete mit pulverisiertem Ruß zu verändern. Der geschwärzte Schnee sollte schmelzen, indem er die Strahlen der Sonne absorbierte; die auf diese Weise vom Eis befreiten Gebiete Grönlands und der Antarktis wollte dieser mein Urahn in eine Art Eden für die Menschheit verwandeln. Da er jedoch keine Anhänger für diesen Plan fand, begann er auf eigene Faust Vorräte an Ruß zu sammeln, was zu Ehezwistigkeiten führte und mit einer Scheidung endete. Seine zweite Frau, Eurydike, war die Tochter eines Apothekers, der hinter dem Rücken des Schwiegersohns den Ruß aus den Kellern trug und ihn als Heilkohle verkaufte (carbo animalis). Als man den Apotheker entlarvte, wurde auch der nichtsahnende Esteban Franz der Fälschung von Medikamenten beschuldigt und bezahlte das mit der Konfiszierung seines gesamten Rußvorrats. Von den Menschen tief enttäuscht, starb der Unglückselige vorzeitig. Sein einziger Trost in den letzten Monaten seines Lebens war, daß er den im Winter verschneiten Garten mit Ruß beschüttete und beobachtete, wie daraufhin der Schnee vorzeitig taute. Mein Großvater hat, ihm zum Gedenken, im Garten einen kleinen Obelisk mit einer passenden Inschrift aufgestellt.
Jener Großvater, Jeremias Tichy, ist einer der hervorragendsten Vertreter unseres Geschlechts. Er wuchs im Hause des älteren Bruders Melchior auf, eines wegen seiner Frömmigkeit berühmten Kybernetikers und Erfinders. Da Melchior keine radikalen Ansichten verfocht, wollte er keineswegs den gesamten Gottesdienst automatisieren, sondern lediglich breitesten Kreisen der Geistlichkeit zu Hilfe kommen. Er konstruierte deshalb ein paar zuverlässige, rasch handelnde und einfach zu bedienende Vorrichtungen, wie den
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