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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Tragödie. Da er keine Anhänger zu finden vermochte, mischte er, begeistert von der Idee der ewigen Läuterung des Menschen von der sexuellen Begierde, in alle Brunnen des Städtchens Ungemütran. Hierauf verprügelte ihn die wütende Menge und brachte ihn in einem schändlichen Akt der Selbstjustiz um. Das Gefühl für die Gefahren, denen er sich aussetzte, war Igor nicht fremd. Er begriff, daß der Sieg des Geistes über den Leib nicht von selbst kommen werde, wovon die letzten Absätze in seinem Werk zeugen, das postum von der Familie auf eigene Kosten herausgegeben wurde. Er schrieb darin, daß jede große Idee eine Macht hinter sich haben müsse, wie das zahlreiche Beispiele aus der Geschichte bestätigten, die bewiesen, daß die Polizei besser als alle Argumente und Überredungskünste eine Weltanschauung schütze. Leider besaß er keine eigene, deshalb nahm es mit ihm ein so trauriges Ende. Natürlich fanden sich Verleumder, die behaupteten, der Vater sei Sadist, der Sohn – Masochist gewesen. An dieser Verunglimpfung ist nicht ein Wort wahr. Obwohl ich hier heikle Dinge berühre, muß ich das tun, um den guten Ruf unserer Familie zu wahren. Igor war kein Masochist, trotz aller Selbstverleugnung blieb ihm nichts anderes übrig, als zuweilen auf die physische Hilfe zweier ihm treu ergebener Vettern zurückzugreifen, die ihn, vor allem nach größeren Dosen Ungemütrans, im Ehebett festhalten mußten, aus dem er dann, nach vollbrachter Tat, Hals über Kopf flüchtete.
      Igors Söhne griffen nicht das Werk des Vaters auf. Der ältere befaßte sich eine Zeitlang mit der Synthese des Ektoplasmas, einer den Spiritisten wohlbekannten Substanz, die die Medien im Trancezustand ausscheiden, doch der Versuch mißlang, denn die Margarine, die den Ausgangsstoff bildete – wie er behauptete –, sei nicht genügend gereinigt gewesen. Der jüngere war der Schandfleck der Familie. Man kaufte ihm eine Schiffskarte zum Stern Mira Coeli, der bald nach seiner Ankunft erlosch. Über das Schicksal der Töchter ist mir nichts bekannt.
      Einer der ersten Kosmonauten oder – wie man damals schon sagte – Kosmotrosen war nach hundertfünfzigjähriger Unterbrechung mein Uronkel Pafnucy. Dieser Eigentümer einer Sternfähre in einer der kleineren galaktischen Engen hat mit seinen Schiffchen ungezählte Scharen Reiselustiger befördert. Er führte inmitten der Gestirne ein stilles und geruhsames Leben, im Gegensatz zu seinem Bruder Eusebius, der ein Korsar geworden war, aber erst in verhältnismäßig hohem Alter. Der geborene Possenreißer Eusebius, der sich durch viel Sinn für Humor auszeichnete und von der gesamten Mannschaft »a practical joker« genannt wurde, klebte die Sterne mit Schusterpech zu und streute auf der Milchstraße kleine Laternen aus, um die Schiffskapitäne irrezuführen; die so vom Kurs abgewichenen Raketen überfiel er und raubte sie aus. Anschließend gab er den Beraubten alles zurück, befahl ihnen weiterzureisen, holte sie mit seinem schwarzen Raketenschiff wieder ein, ging an Bord und raubte sie erneut aus. Es kam vor, daß er das sechs- oder sogar zehnmal hintereinander tat. Die Passagiere konnten wegen ihrer verschwollenen Augen nichts sehen.
      Trotzdem war Eusebius kein grausamer Mensch. Da er jahrelang an den Sternenkreuzwegen auf seine Opfer lauerte, langweilte er sich entsetzlich. Wenn ihm also eine Rakete in die Quere kam, war er einfach nicht imstande, sich nach vollzogenem Raub sofort von ihr zu trennen. Bekanntlich ist das interplanetare Korsarentum in finanzieller Hinsicht unrentabel, wovon am besten der Umstand zeugt, daß es praktisch nicht existiert. Eusebius Tichy handelte nicht aus niedrigen, materiellen Beweggründen, im Gegenteil, ihn beseelte der Geist der alten Ideale, er wollte die ehrwürdige Tradition der Seepiraterei wiederbeleben und hielt diese Aufgabe für seine Sendung. Man bezichtigte ihn vieler abscheulicher Neigungen, es fanden sich sogar Leute, die ihn einen Thanatophilen nannten, denn um sein Raumschiff kreisten die Überreste zahlreicher Kosmotrosen. Im Vakuum kann man einen vorzeitig Verschiedenen nicht einfach bestatten, es gibt keine andere Möglichkeit, als ihn durch die Klappe der Rakete hinauszustoßen. Der Umstand, daß er sie nicht verläßt, sondern um das verwaiste Schiff kreist, resultiert aus den Gesetzen der Newtonschen Mechanik und ist nicht auf perverse Neigungen zurückzuführen. Im Verlauf der Jahre ist die Anzahl der Körper, die das Raumschiff

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