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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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angenehm.
       Eintragung 116 309. Wir nähern uns der Lichtgeschwindigkeit. Eine Menge bisher unbekannter Phänomene. Etwas Sonderbares geschieht mit meinem Kopf. Ich erinnere mich, daß mein Vater Barnabas hieß, aber ich hatte auch einen anderen, Balaton mit Namen. Das ist wohl ein See in Ungarn. Ich muß das im Lexikon überprüfen. Ich beobachte, wie sich die Tanten auf den Quanten krümmen, ohne daß sie jedoch aufhören zu stricken. Auf dem III. Deck riecht es. Das Kind der Obrozys krabbelt gar nicht, es fliegt, indem es sich abwechselnd des vorderen und hinteren Abstoßes bedient. Wie wunderbar ist doch die biologische Anpassung des Organismus!
       Eintragung 116 310. Ich war im Labor meines Vetters Jesaia und dessen Familie. Dort wird pausenlos gearbeitet. Mein Vetter sagte, daß es in einer höheren Phase der Gastronautik nicht nur eßbare, sondern auch lebende Möbel geben werde. Die könnten nicht verderben, und man brauchte sie auch nicht in Kühlschränken aufzubewahren. Aber wer würde die Hand erheben, um einen lebenden Stuhl zu schlachten? Vorläufig gibt es sie noch nicht, doch Jesaia behauptet, daß er uns bald mit Stuhlbein in Gelee bewirten wird. Als ich in den Steuerraum zurückkehrte, sann ich noch lange über seine Worte nach. Er hatte von lebenden Raketen der Zukunft gesprochen. Würde man mit einer solchen Rakete ein Kind haben können? Auf was für Gedanken man kommt!
       Eintragung 116 311. Großvater beklagte sich, daß sein linkes Bein bis zum Polarstern reiche und das rechte – bis zum Kreuz des Südens. Außerdem führt er wohl etwas im Schilde, denn er kriecht ständig auf allen vieren umher. Ich muß ihn genauer beobachten. Balthasar, Jesaias Bruder, ist verschwunden. Sollte es Quantendispersion sein? Als ich ihn suchte, stellte ich fest, daß die Atomkammer voll Staub ist. Mindestens ein Jahr nicht gefegt! Ich setzte den Unterkämmerer Bartholomäus ab und ernannte an dessen Stelle seinen Schwager Titus. Abends im Salon, als Tante Melanie auftrat, explodierte plötzlich der Großvater. Ich befahl zu zementieren. Von meiner Seite war das reiner Instinkt. Aber ich widerrief den Befehl nicht, um an der Autorität des Kapitäns keinen Zweifel aufkommen zu lassen. Der Großvater fehlt mir sehr. Was war das, Zorn oder Annihilation? Er war schon immer nervös gewesen. Während meiner Wache verlangte es mich nach Fleisch, ich aß etwas gefrostetes Kalbfleisch aus dem Kühlschrank. Gestern stellte sich heraus, daß das Blatt mit dem eingetragenen Reiseziel verlorengegangen ist, schade, denn wir fliegen schon etwa 36 Jahre. In dem Kalbfleisch war eigenartigerweise lauter Schrot – seit wann schießt man auf Kälber mit der Flinte? Neben uns fliegt ein Meteor, auf dem jemand sitzt. Bartholomäus war der erste, der ihn bemerkt hat. Vorläufig tue ich, als sähe ich nichts.
       Eintragung 116 312. Mein Vetter Bruno behauptet, das sei kein Kühlschrank gewesen, sondern der Hibernator; er habe zum Spaß die Schilder vertauscht. Außerdem habe es sich nicht um Schrot gehandelt, sondern um Rosenkranzperlen. Ich stieg unter die Decke; im schwerelosen Raum sind keine theatralischen Szenen möglich, man kann weder aufstampfen noch mit der Faust auf den Tisch hauen. Ich bedauere, daß ich mich an die Sterne gewagt habe. Bruno habe ich die schlimmste Arbeit gegeben, er muß im Heck Strickgarn entwirren.
       Eintragung 116 313. Der Kosmos verschlingt uns. Gestern riß ein Teil des Hecks mit den Toiletten ab. Onkel Palexander war gerade dort. Ohnmächtig mußte ich zusehen, wie er mit der Finsternis verschmolz und die auseinandergerollten Papierstreifen kläglich im All flatterten. Eine wahre Laokoongruppe zwischen Gestirnen, Welch ein Unglück! Der auf dem Meteor ist gar kein Verwandter; ein völlig fremder Mensch. Er sitzt rittlings darauf. Verblüffend. Mir gelangte zu Ohren, daß mehrere Personen heimlich ausgestiegen seien. In der Tat wird es etwas leerer. Sollte das wahr sein?
       Eintragung 116 314. Vetter Roland, der unser Rechnungswesen führt, hat große Sorgen. Gestern war ich Zeuge, wie er mühselig die bereits beförderten Verlobungsregistertonnen mit der Modifikation für den Verlust der Jungfernschaft berechnete. Während er schrieb, hob er plötzlich den Kopf und sagte: »Ein Mensch, wie das klingt!« Dieser Gedanke machte mich stutzig. Der kleine Pyzio, der im Raumschiff umherfliegt und f statt p spricht (Flanet statt Planet, dafür aber Planellhosen), hat, wie sich erst jetzt

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