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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Namen rufen hörte; ich wandte mich um und stand Auge in Auge einem mir völlig fremden Individuum gegenüber.
      »Tichy! Sie sind es?« wiederholte die Person und reichte mir die Hand. Ich drückte sie, während ich mich vergebens zu erinnern versuchte, wer das wohl sein könne.
      »Ich sehe, daß Sie mich nicht erkennen. Ich bin Prolaps… Ich habe im ›Kosmischen Almanach‹ gearbeitet…«
      »Ach ja, Verzeihung!« stammelte ich. Natürlich, es war Prolaps, die brave Linotype, die fast alle meine Bücher gesetzt hatte. Ich hatte sie sehr geschätzt, sie war nahezu untrüglich.
      Prolaps faßte mich vertraulich unterm Arm, und wir wandelten die schattige Allee entlang. Die Licht- und Schattenflecken belebten das heitere Gesicht meines Gefährten. Wir unterhielten uns eine gute Weile über die Neuheiten der Verlage; er drückte sich wie immer präzise aus, mit dem ihm eigenen Scharfsinn, er war in glänzender intellektueller Verfassung, ich bemerkte an ihm nicht die Spur einer Anomalie. Als wir jedoch eine kleine Laube erreicht hatten und uns auf eine Steinbank setzten, fragte er mich, während er die Stimme zu einem vertraulichen Flüstern dämpfte: »Aber was machen Sie eigentlich hier?… Hat man Sie auch ausgetauscht…?«
      »Wissen Sie, ich bin aus freien Stücken hierhergekommen, weil…«
      »Na klar, ich auch!« unterbrach er mich. »Als mir die Sache passierte, habe ich mich gleich an die Polizei gewandt, doch bald ist mir klargeworden, wie sinnlos das ist. Die Bekannten rieten mir, zu Vliperdius zu gehen, und der hat sich in meiner Sache völlig anders verhalten! Er stellt Nachforschungen an, und ich bin sicher, daß er schon bald entdecken wird…«
      »Verzeihen Sie – was denn?« fragte ich.
      »Na was wohl? Meinen Leib natürlich.«
      »Aha… ach so…« Ich nickte ein paarmal, während ich versuchte, meine Überraschung zu verbergen. Aber Prolaps merkte nichts.
      »Ich erinnere mich noch genau an den Tag, es war der 26. Juni«, sagte er plötzlich düster. »Als ich mich zu Tisch setzte, um die Zeitung zu lesen, begann ich zu klirren. Das weckte meine Aufmerksamkeit, denn sagen Sie selbst, welcher Mensch klirrt, wenn er sich setzt! Ich betaste meine Beine – sie sind eigenartig hart, die Hände genauso, ich klopfe mich ab, und plötzlich wird mir klar, daß man mich verwandelt hat! Jemand hatte sich eine unwürdige Fälschung erlaubt! Ich begann die ganze Wohnung zu durchsuchen – keine Spur, sie müssen mich in der Nacht heimlich weggetragen haben…«
      »Was heißt das? Was weggetragen?«
      »Ich habe es doch gesagt! Meinen Leib. Meinen natürlichen Leib, denn Sie sehen doch, daß das« – er klopfte sich auf die Brust, daß es dröhnte –, »daß das hier künstlich ist…«
      »Ah, natürlich. Ich hatte Sie mißverstanden… klar…«
      »Bei Ihnen vielleicht auch…?« fragte er mit Hoffnung in der Stimme. Plötzlich packte er meine Hand und wuchtete sie auf die steinerne Tischplatte, so daß ich aufstöhnte. Enttäuscht ließ er sie los.
      »Verzeihung, ich hatte den Eindruck, daß sie glänzte«, murmelte er.
      Inzwischen war mir klargeworden, daß er sich für einen Menschen hielt, dem man den Körper gestohlen hat, und wie das gewöhnlich bei Kranken ist, die sehr gern Leidensgefährten um sich haben, hatte er gehofft, daß auch mir das gleiche passiert sei.
      Ich rieb die gequetschte Hand unter dem Tisch und versuchte das Thema zu wechseln, aber Prolaps begann nun voller Liebe und Rührung die Reize seiner früheren Körperlichkeit zu schildern. Er ließ sich über seine blonde Mähne aus, die er angeblich besessen hatte, über seine samtweichen Wangen, über seinen Katarrh – ich wußte einfach nicht, wie ich ihn loswerden konnte, denn ich kam mir immer dümmer vor. Aber Prolaps befreite mich selbst aus meiner mißlichen Lage. Er sprang nämlich auf, rief: »Da – da geht er, glaube ich…!« und sauste querfeldein über den Rasen einer verschwommenen Gestalt hinterdrein. Ich saß noch immer da, ganz in Gedanken versunken, als sich jemand hinter meinem Rücken vernehmen ließ:
      »Gestatten Sie – darf ich…?«
      Der Ankömmling setzte sich und musterte mich starr, als wollte er mich hypnotisieren. Lange betrachtete er mein Gesicht und meine Hände, aus seinem Blick sprach wachsender Kummer. Schließlich schaute er mir tief in die Augen, grenzenlos mitleidig und zugleich mit solcher Süße, daß ich verwirrt war. Ich

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