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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Witze über Menschen zu lesen, über Gnomisti ken, Experten für Heinzelmännchen, über die Abstammung der Schratte vom Höhlenalb und ähnlichen Unfug. Da ich noch eine halbe Stunde Fahrt vor mir hatte, machte ich mich an das Studium der kleinen Anzeigen – bekanntlich sind sie auch in einer schlechten Zeitung oft ganz interessant. Aber auch hierin wurde ich enttäuscht. Jemand wollte einen Servobruder loswerden, ein anderer unterrichtete Kosmonautik auf brieflichem Wege, wieder ein anderer kündigte an, daß er auf Bestellung Atomkerne zerschlage. Ich faltete das Blatt zusammen, um es wegzuwerfen, da fiel mein Blick auf eine größere Annonce, die eingerahmt war: »Die Anstalt des Dr. Vliperdius – Heilung von psychischen und Nervenkrankheiten.«
      Ich muß gestehen, daß mich die Problematik der elektrischen Demenz schon immer gereizt hatte, und sagte mir, daß der Besuch eines solchen Sanatoriums einem so manches geben könnte. Ich kannte Vliperdius nicht persönlich, aber der Name war mir nicht fremd: Professor Tarantoga hatte mir von ihm erzählt. Was mir in den Sinn kommt, pflege ich sofort zu verwirklichen.
      Zu Hause rief ich also gleich das Sanatorium an. Anfangs hatte Dr. Vliperdius Vorbehalte, aber als ich mich auf unseren gemeinsamen Bekannten Tarantoga berief, gab er nach. Ich handelte für den nächsten Tag einen Besuch aus, denn es war ein Sonntag, und vormittags hatte ich viel Zeit. Gleich nach dem Frühstück fuhr ich in die Vorstadt, eine Gegend, die wegen ihrer kleinen Seen berühmt war, wo sich, malerisch von einem Park umgeben, die psychiatrische Anstalt befand. Vliperdius erwartete mich, wie man mir mitteilte, in seinem Kabinett. Das Gebäude war voller Sonnenlicht, es hatte moderne Wände aus Aluminium und Glas, an den Decken gab es bunte Panneaus mit spielenden Robotern. Düster konnte man dieses Krankenhaus nicht nennen; aus den unsichtbaren Räumen drang Musik, und als ich durch die Vorhalle ging, bemerkte ich chinesische Spielklötze, bunte Alben und eine Skulptur, die den gewagten Akt einer Roboterin darstellte.
      Der Doktor rührte sich hinter seinem geräumigen Schreibtisch nicht vom Fleck, zeigte sich aber sehr entgegenkommend. Wie ich erfuhr, las er viel und kannte manches meiner Reisebücher. Zweifellos war er ein wenig altmodisch, nicht nur in seinen Manieren, denn er war nach altem Brauch an den Fußboden befestigt, wie ein archaischer N-Rechner. Wahrscheinlich ließ ich mein Erstaunen erkennen, als ich seine eisernen Füße sah, denn er sagte lachend: »Wissen Sie, ich bin meiner Arbeit, meinen Patienten so ergeben, daß ich nicht die geringste Lust verspüre, die Anstalt zu verlassen!«
      Ich weiß, wie empfindlich Psychiater reagieren, wenn es um ihr Fachgebiet geht, und wie sehr ihre Haltung den Durchschnittsmenschen abstößt, der in geistigen Verirrungen Exotik und Monstruosität sucht – deshalb unterbreitete ich ihm mein Anliegen sehr behutsam. Der Doktor räusperte sich, überlegte, erhöhte seine Anodenspannung und sagte: »Wenn Ihnen so daran gelegen ist… aber ich glaube, Sie werden enttäuscht sein. Zur Zeit gibt es keine tobsüchtigen Roboter, mit denen man Eindruck machen kann, Herr Tichy, das sind alte Geschichten. Wir wenden eine moderne Therapie an. Die Methoden des vergangenen Jahrhunderts – Anheizen der Leitungen zur Erweichung der Hauptröhre, Verwendung von Drosseln und anderen Folterwerkzeugen – gehören bereits der Geschichte der Medizin an. Tja, wie soll man Ihnen das am besten demonstrieren? Vielleicht gehen Sie einfach in den Park und machen sich dort unmittelbar mit unseren Patienten bekannt, es sind überaus subtile und kulturvolle Leute. Ich darf doch annehmen, daß Ihnen… hm… daß Ihnen irgendwelche Aversionen oder unsinnige Ängste angesichts der geringen Deviationen fremd sind…?«
      Ich versicherte, daß es an dem sei, worauf Vliperdius sich entschuldigte, daß er mich bei dem Spaziergang leider nicht begleiten könne. Er zeigte mir den Weg und bat mich, auf dem Rückwege nochmals bei ihm vorbeizukommen.
      Ich schritt die Treppe hinunter und gelangte an breiten Veranden vorbei auf eine geschotterte Auffahrt. Ringsum erstreckte sich der Park voller Blumenbeete und seltener Palmen. Im Hintergrund schwammen in einem Teich ein paar Schwäne, die Patienten fütterten sie, andere widmeten sich auf bunten Bänken dem Schach spiel oder freundschaftlichen Gesprächen. Ich schlenderte vor mich hin, als ich jemanden meinen

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