Sterntagebücher
Priester lasen aus meinem Mienenspiel die Zukunft, und wenn es ihnen Unheil zu verkünden schien, beweihräucherten sie mich so sehr, daß ich beinahe erstickte. Zum Glück schaukelte der Priester bei der Darbringung der Brandopfer meine kleine Kapelle, so daß ich von Zeit zu Zeit ein wenig Luft schnappen konnte.
Am vierten Tage wurden meine Anbeter von einer keulenbewehrten Schar Mikrozephalen unter Führung des Riesen, der seinerzeit meine Zähne gezählt hatte, überfallen. Im Laufe des Kampfes ging ich von Hand zu Hand, wurde so abwechselnd Gegenstand der Anbetung und der Verachtung. Die Schlacht endete mit einem Sieg der Aggressoren, deren hünenhafter Anführer Wurmflug hieß. An eine Stange gebunden, die von Verwandten des Recken getragen wurde, nahm ich an seiner triumphalen Heimkehr ins Lager teil. Mich so zu transportieren bürgerte sich hernach ein; seitdem war ich eine Art Standarte, die auf allen Kriegszügen vorangeschleppt wurde. Das war für mich zwar beschwerlich, dafür aber mit gewissen Vorrechten verknüpft.
Als mir der Dialekt der Mikrozephalen einigermaßen vertraut geworden war, begann ich Wurmflug klarzumachen, daß er und seine Untertanen mir allein ihre stürmische Entwicklung verdankten. Das brauchte seine Zeit, doch kaum schien es bei ihm zu dämmern, da wurde er bedauernswerterweise von seinem Vetter Klethops vergiftet. Dem gelang es, die einander befehdenden Wald- und Wiesen-Mikrozephalen zu vereinen, indem er die Priesterin des Waldstammes, Mastosymase, zum Weibe nahm.
Als Mastosymase mich beim Hochzeitsmahl erblickte (ich war Voresser – Klethops hatte dieses Amt eingeführt), brach sie in den freudigen Ruf aus: »Hast du aber eine süße weiße Haut!« Das erfüllte mich mit bösen Ahnungen, die sich bald verwirklichen sollten. Mastosymase erwürgte ihren Gatten im Schlaf und ehelichte mich sozusagen zur linken Hand. Nun versuchte ich ihr meine Verdienste um das Geschlecht der Mikrozephalen klarzumachen, aber sie faßte das falsch auf, denn schon nach meinen ersten Worten zeterte sie: »Aha, du hast mich satt!«, und es bedurfte einer langen Zeit, sie wieder zu besänftigen.
Bei der nächsten Palastrevolution kam Mastosymase ums Leben, mir selbst gelang es, durch einen Sprung aus dem Fenster zu entwischen. Von unserer Verbindung blieb lediglich das Weiß-Lila der Staatsflagge. Nach meiner geglückten Flucht in den Wald stieß ich auf die Lichtung, wo mein Beschleuniger stand; ich wollte ihn schon ausschalten, da kam mir der Gedanke, es wäre doch vernünftiger, abzuwarten, daß die Mikrozephalen eine Zivilisation aufbauten, die mehr demokratischen Geist verriete.
Eine Zeitlang lebte ich im Walde und nährte mich von Wurzeln. Nur nachts wagte ich mich in die Nähe des Lagers, das sich mit Riesenschritten in eine von hohen Palisaden umgebene Stadt verwandelte.
Die seßhaften Mikrozephalen trieben Ackerbau, die Städtischen fielen über sie her, schändeten ihre Frauen, plünderten und morde ten. Bald entwickelte sich daraus der Handel. Zu dieser Zeit festigten sich die Glaubensbekenntnisse, deren Ritual von Tag zu Tag reicher wurde. Zu meinem Bedauern hatten die Mikrozephalen die Rakete von der Lichtung in die Stadt gebracht und sie als Götzen auf dem größten Platz aufgestellt; sie umgaben ihn mit einer Mauer und ließen Posten aufziehen. Mehrmals rotteten sich die Bauern zusammen, überfielen Lilaburg – so hieß die Stadt – und zerstörten es mit vereinten Kräften bis auf die Grundmauern, doch folgte jedesmal ein stürmischer Wiederaufbau.
Diesen Kriegen setzte König Sarzepanos ein Ende. Er brandschatzte die Dörfer, ließ Wälder und Bauern niedermähen und siedelte die Überlebenden als Sklaven auf den Äckern vor der Stadt an. Da ich keine Bleibe hatte, zog ich nach Lilaburg. Durch meine Beziehungen – die Palastdienerschaft kannte mich noch aus der Mastosymasezeit – erhielt ich den Posten eines Hofmasseurs. Sarzepanos gewann mich lieb und beschloß, mir die Würde des Staatshäscherassistenten im Range eines Obertorturanten zu verleihen. In meiner Verzweiflung trieb es mich zu jener Lichtung, wo mein Beschleuniger arbeitete; ich stellte ihn auf Höchstleistung. In der Tat starb Sarzepanos noch in jener Nacht an Völlerei, und Trymon der Bläuliche, Befehlshaber der Armee, bestieg den Thron. Er führte die Beamtenhierarchie, die Steuern und die Zwangsrekrutierung ein. Mich rettete meine Hautfarbe vor dem Militärdienst. Man erklärte
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