Sterntagebücher
mich zum Albino, und als solcher durfte ich mich nicht dem Königssitz nähern. Ich lebte unter den Sklaven, die mich Ijon den Blassen nannten.
Ich begann nun Gleichheit für alle zu propagieren und rückte meinen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung der Mikrozephalen ins rechte Licht. Bald hatten sich viele Anhänger dieser Lehre, Maschinisten genannt, um mich geschart. Es gab Aufruhr und Unruhen, im Blute erstickt von der Garde Trymons des Bläulichen. Der Maschinismus wurde mit der Todesstrafe durch Totkitzeln bedroht.
Ich mußte mehrmals fliehen und in den städtischen Teichen Zuflucht suchen, meine Jünger aber waren grausamen Verfolgungen ausgesetzt. Später erschienen immer mehr Personen aus den höheren Kreisen zu meinen Vorlesungen, natürlich inkognito. Als Trymon eines tragischen Todes starb – er hatte in seiner Zerstreutheit vergessen, Atem zu holen –, übernahm Karbagas der Vernünftige die Macht. Er war Anhänger meiner Lehre, die er zur Staatsreligion erhob. Man erkannte mir den Titel »Betreuer der Maschine« zu und gab mir eine herrliche Residenz neben dem Königshof. Ich hatte schrecklich viel zu tun und weiß selber nicht, wie es dazu kam, daß die mir untergebenen Priester plötzlich Thesen von meiner himmlischen Abkunft verkündeten. Zu dieser Zeit gewann die Sekte der Antimaschinisten an Einfluß, die behaupteten, die Mikrozephalen entwickelten sich auf natürliche Weise, ich hingegen sei ein ehemaliger Sklave, der sich mit Kalk weißgetüncht habe und in betrügerischer Absicht das Volk verdumme.
Die Anführer der Sekte wurden ergriffen, und der König verlangte, daß ich als der Betreuer der Maschine sie zum Tode verurteilte. Ich sah keinen anderen Ausweg, flüchtete durchs offene Palastfenster und hielt mich wieder einige Zeit in den städtischen Teichen verborgen. Eines Tages erreichte mich die Nachricht, daß die Priester die Himmelfahrt Ijons des Blassen verkündeten, der nach Erfüllung seiner planetarischen Mission zu seinen himmlischen Eltern zurückgekehrt sei. Ich begab mich nach Lilaburg, um die Sache richtigzustellen, aber die Menge, die vor meinen Abbildern im Staube lag, wollte mich steinigen, kaum daß ich den Mund aufgetan hatte. Die Priesterwache gewährte mir Schutz, jedoch nur, um mich als Usurpator und Gotteslästerer einzulochen. Drei Tage lang wurde ich gescheuert und geschabt, denn man wollte die angebliche weiße Tünche abkratzen, mit deren Hilfe ich mich, laut Anklage, für den himmelwärts gefahrenen heiligen Ijon ausgegeben hatte. Da ich trotz aller Maßnahmen nicht blau wurde, sollte ich gefoltert werden. Aus dieser Bedrängnis gelang es mir dank einem Wächter, der mir etwas blaue Farbe zusteckte, zu entkommen. Flugs lief ich in den Wald zum Beschleuniger, und nach längerem Manipulieren hatte ich seine Wirkung verstärkt, in der Hoffnung, dadurch den baldigen Anbruch einer anständigen Zivi lisation herbeizuführen. Danach hielt ich mich wieder zwei Wochen in den städtischen Fischteichen verborgen.
Ich kehrte in die Metropole zurück, als die Republik, die Inflation, die Amnestie und die Gleichheit aller Stände ausgerufen wurden. An den Ortseingängen wurden schon Ausweispapiere verlangt, und da ich keine besaß, verhaftete man mich wegen Vagabundierens. Wieder freigelassen, nahm ich, da mir die Mittel zum Lebensunterhalt fehlten, den Posten eines Boten im Ministerium für Kultur an. Die Kabinette wechselten mitunter zweimal in vierundzwanzig Stunden, da aber jede Regierung ihre Geschäfte damit begann, die Erlasse der vorangegangenen zu annullieren und neue herauszugeben, hatte ich mit dem Austragen der Rundschreiben alle Hände voll zu tun. Zu guter Letzt bekam ich Schwären an den Füßen und reichte meine Entlassung ein; meinem Ersuchen wurde jedoch nicht stattgegeben, da gerade Kriegszustand herrschte. Nachdem ich die Republik, zwei Direktorien, die Restauration der aufgeklärten Monarchie, die Diktatur des Generals Isegraus sowie seine Enthauptung als Hochverräter erlebt hatte, manipulierte ich, unzufrieden mit der langsamen Entwicklung, von neuem an dem Apparat, mit dem Erfolg, daß ein Schräubchen brach. Ich nahm mir das nicht sehr zu Herzen; doch siehe da, einige Tage später bemerkte ich, daß etwas Seltsames geschah. Die Sonne stieg im Westen hoch, auf dem Friedhof waren eigenartige Geräusche zu hören und wandelnde Leichen zu sehen, deren Zustand sich mit jedem Moment besserte, die Erwachsenen schrumpften zusehends
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