Sterntagebücher
Bekanntschaft suchte, noch tüchtig auf den Hosenboden setzen mußte, um mich auf den Höhen seines Intellekts bewegen zu können. Geleitet von diesem Gedanken, beschloß ich, die gesamte Flugdauer, die auf neun Jahre berechnet war, meiner Weiterbildung auf dem Gebiet der Philosophie zu widmen. So startete ich denn auf der Erde mit einer Rakete, in der von der Einstiegluke bis zum Bug Bücherregale aufgestellt waren, die sich unter der Last der trefflichsten Früchte menschlichen Geistes nur so bogen. Nachdem ich mich etwa sechshundert Millionen Kilometer vom heimatlichen Gestirn abgesetzt hatte und nichts mehr meine Ruhe stören konnte, begann ich mit der Lektüre. Angesichts des Umfangs legte ich mir einen besonderen Plan zurecht. Um zu vermeiden, daß ich Bücher irrtümlicherweise ein zweites Mal las, warf ich jedes Werk, das ich kennengelernt hatte, durch die Luke aus der Rakete, in der Absicht, die frei im Raum schwebenden Bücher auf dem Rückweg wieder einzusammeln.
Ich studierte also zweihundertachtzig Tage lang Anaxagoras, Platon und Plotinos, Origenes und Tertullian, nahm den Scotus Eriugena durch, die Bischöfe Hrabanus aus Mainz und Hinkmar aus Reims, las den Ratramnus aus Corbie und den Servatus Lupus von A bis Z, ebenso Augustinus, namentlich sein De Vita Beata, De Civitate Dei und De Quantitate Anitnae. Darauf widmete ich mich Thomas von Aquin, den Bischöfen Sinesius und Nemesius sowie dem Pseudoareopagiten, dem heiligen Bernhard und Suárez. Beim heiligen Viktor mußte ich eine Pause einlegen; ich habe nämlich die Gewohnheit, beim Lesen Brotkügelchen zu formen, und die Rakete war schon voll davon. Nachdem ich alles in den Weltraum gefegt hatte, schloß ich die Klappe und ging wieder an mein Studium. Die nächsten Regale waren mit Werken der neueren Zeit ge füllt – etwa siebeneinhalb Tonnen im ganzen, und ich befürchtete schon, daß mir die Zeit nicht reichen würde, alles zu ergründen, doch bald kam ich dahinter, daß die Motive sich wiederholten und sich lediglich durch die Art des Herangehens voneinander unterschieden. Was bei den einen, bildlich gesprochen, auf den Füßen stand, stellten die anderen auf den Kopf, so daß ich mir manches schenken konnte.
Also durchforschte ich die Mystiker und die Scholastiker, Hartmann, Gentile, Spinoza, Wundt, Malebranche, Herbart, ich machte mich mit dem Infinitismus vertraut, mit der Vollkommenheit des Schöpfers, mit der Prästabilierten Harmonie und mit den Monaden, dabei kam ich aus dem Staunen nicht heraus, wieviel doch jeder dieser Weisen über die menschliche Seele zu sagen hatte, und zwar immer genau das Gegenteil von dem, was die anderen behaupteten.
Als ich gerade in die wahrhaft genußvolle Beschreibung der Prästabilierten Harmonie vertieft war, riß mich ein recht drastisches Erlebnis aus meiner Lektüre. Ich befand mich bereits in der Gegend der kosmischen Magnetwirbel, die alle eisernen Gegenstände mit unglaublicher Kraft magnetisieren. Das geschah auch mit den eisernen Beschlägen meiner Schuhe, und so konnte ich, festgesaugt am stählernen Fußboden, nicht einen einzigen Schritt tun, um zum Schränkchen mit den Lebensmitteln zu gelangen. Mir drohte bereits der Hungertod, aber zur rechten Zeit fiel mir ein, daß ich ja eine Taschenbuchausgabe des Ratgebers des Kosmonauten auf der Brust trug, in der ich den Hinweis fand, daß man in solchen Situationen am besten die Schuhe auszog. Hierauf kehrte ich zu meinen Büchern zurück.
Als ich etwa sechstausend Bände durchgesehen hatte und mich darin auskannte wie in meiner Westentasche, trennten mich noch etwa acht Trillionen Kilometer vom Planeten Hinterschein. Ich nahm gerade das nächste Regal in Angriff, das mit der Kritik der reinen Vernunft ausgefüllt war, da drang heftiges Klopfen an mein Ohr! Überrascht hob ich den Kopf, da ich ja allein in der Rakete war und eigentlich keine Gäste aus dem Weltraum erwartete. Das Klopfen wurde hartnäckiger, und ich vernahm nun auch eine gedämpfte Stimme: »Aufmachen!«
Eilends schraubte ich die Luke auf, und herein kamen drei Geschöpfe in Raumanzügen, die über und über mit Milchstaub bedeckt waren.
»So! Da hätten wir einen Wassermann auf frischer Tat ertappt!« rief der erste Ankömmling, und der zweite fragte: »Wo ist Ihr Wasser?«
Bevor ich, starr vor Staunen, antworten konnte, sagte der dritte etwas zu ihnen, was sie ein wenig sanfter stimmte.
»Woher kommst du?« fragte mich der erste.
»Von
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