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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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lange und so unwiderruflich wie der Kosmos? Sollte es sich – so wird vielleicht der Leser denken – um eine extravagante Hypothese handeln, die behauptet, daß es bis jetzt außer der Erde nichts gegeben habe und daß alle Galaxien, Sonnen, Wolken und Milchstraßen nur so etwas wie eine Fata Morgana gewesen seien? Nein, es ist auch nicht an dem. Ich habe nämlich wirklich alles geschaffen, absolut alles – also auch die Erde, den Rest des Sonnensystems und die Metagalaxis, was gewiß Anlaß genug wäre, sich etwas darauf einzubilden, wenn diese meine Schöpfung nicht so viele Fehler besäße. Zum Teil gilt das für den Baustoff, vor allem aber für die belebte Materie mit dem Menschen an der Spitze. Mit ihm, dem Menschen, ist mein ärgster Kummer verbunden. Gewiß, jene gewissen Leute, die ich noch beim Namen nennen werde, haben sich in meine Sache eingemischt und sie verdorben, aber ich selbst halte mich keinesfalls für unschuldig. Man hätte alles sorgfältiger planen, beaufsichtigen, berücksichtigen sollen, zumal nun von keinen Verbesserungen und Vervollkommnungen mehr die Rede sein kann. Seit dem zwanzigsten Oktober vergangenen Jahres gehen alle, aber auch wirklich alle Konstruktionsfehler des Universums und die Entstellungen der menschlichen Natur auf meine Rechnung. Es gibt keine Flucht vor dieser Erkenntnis.
      Das Ganze begann vor drei Jahren in Bombay, als ich durch Professor Tarantoga einen Physiker slawischer Herkunft kennenlernte, der dort als ein sogenannter »visiting professor« weilte. Jener Gelehrte, Solon Rasglas, befaßte sich schon seit über dreißig Jahren mit der Kosmogonie, das heißt mit jenem Zweig der Astronomie, der die Herkunft und die Umstände der Entstehung des Weltalls untersucht.
      Nach sorgfältiger Erforschung des Gegenstandes war er zu einer mathematisch exakten Schlußfolgerung gelangt, die ihn völlig berauschte. Bekanntlich zerfallen die Theorien der Kosmogonie in zwei Gruppen. Die eine vereint jene, die das Weltall für ewig während, das heißt für ohne Anfang halten. Die andere umfaßt die Theorien, denen zufolge das Weltall einst entstanden ist, und zwar auf explosive Weise, dank der Explosion des Uratoms. Beide Standpunkte stießen stets auf gewaltige Schwierigkeiten. Hinsichtlich der ersten besitzt die Wissenschaft eine wachsende Anzahl Beweise dafür, daß der sichtbare Kosmos mehr als ein Dutzend Milliarden Jahre existiert. Wenn sich etwas durch ein bestimmtes Alter auszeichnet, dann gibt es nichts Einfacheres, als bis zu jenem Augenblick Null zurückzurechnen, doch der ewige Kosmos kann eine solche »Null«, das heißt einen Anfang nicht haben. Unter dem Druck der neuen Erkenntnisse spricht sich die Mehrzahl der Gelehrten nun für ein Universum aus, das vor fünfzehn oder achtzehn Milliarden Jahren entstanden ist. Zuerst habe es ein Gebilde gegeben, genannt Ylem, Uratom oder noch anders. Dieses Gebilde explodierte, und daraus entstanden die Materie und die Energie, die Sternwolken, die wirbelnden Galaxien, die dunklen und hellen Nebelflecke, die in verdünntem Gas voller Strahlung schwimmen. All das läßt sich sehr genau und schön ausrechnen, solange es niemandem einfällt, die Frage zu stellen: »Und woher ist dieses Uratom gekommen?« Denn auf diese Frage gibt es keine Antwort. Es gibt gewisse Ausflüchte, gewiß, aber kein aufrichtiger Astronom kann sich mit ihnen zufriedengeben.
      Professor Rasglas hatte sich, ehe er sich an die Kosmogonie heranmachte, lange mit theoretischer Physik befaßt, vor allem mit den Erscheinungen der sogenannten Elementarteilchen. Als sich Rasglas dem neuen Gebiet zuwandte, gewann er bald das folgende Bild: Der Kosmos hatte zweifellos einen Anfang. Unverkennbar war er vor 18,5 Milliarden Jahren aus einem Uratom entstanden. Zugleich konnte es jedoch ein solches Uratom, aus dem er hätte schlüpfen können, nicht gegeben haben, denn wer hätte es an einer leeren Stelle unterschieben können? Am Anfang gab es nichts. Hätte es etwas gegeben, dann hätte sich jenes Etwas – klarer Fall – zu entwickeln begonnen, und der ganze Kosmos wäre viel früher entstanden, wenn man es genau nimmt – unendlich früher! Warum sollte denn dieses ursprüngliche Uratom währen und währen, in Totenstarre und Unbeweglichkeit ungeahnte Äonen hindurch währen, ohne sich zu rühren, und was um Gottes willen hätte in einem bestimmten Augenblick so an ihm zerren und reißen sollen, daß es sich zu etwas so Gewaltigem ausdehnen und ausbreiten

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