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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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daraus, daß es sich um eine Laune im allergrößten aller möglichen Maßstäbe handelt. Rasglas machte sich unverzüglich an die Berechnungen, um festzustellen, wann dieses fatale Ende eintreten würde, das heißt, wann die Materie, die Sonne, die Sterne, die Planeten, also auch wir samt der Erde wie weggeblasen im Nichts umkommen werden. Er überzeugte sich jedoch, daß er dies nicht voraussehen könne. Natürlich nicht, da es sich doch um eine Laune, das heißt um eine Abweichung von der Ordnung der Gesetze handelt! Das Entsetzen, das diese Entdeckung auslöste, trieb ihm den Schlaf aus den Augen. Nach längerem inneren Kampf machte er, anstatt seine kosmogonischen Arbeiten zu veröffentlichen, viele der hervor ragendsten Astrophysiker damit bekannt, und die Gelehrten erkannten die Richtigkeit seiner Theorie und die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen an. Gleichzeitig jedoch äußerten sie in privaten Unterhaltungen die Ansicht, eine Veröffentlichung des Sachverhalts würde die Welt in ein geistiges Chaos, in Angst und Schrecken stürzen, deren Folgen die gesamte Zivilisation zerstören könnten. Wer würde noch etwas tun, würde auch nur den kleinen Finger rühren, wenn er wüßte, daß in jeder Sekunde alles mit ihm selbst verschwinden kann?
      Die Angelegenheit war auf einem toten Punkt angelangt. Rasglas, dieser größte Entdecker der nicht nur menschlichen Geschichte, teilte die Auffassung seiner gelehrten Kollegen. Schweren Herzens beschloß er, seine Theorie nicht zu veröffentlichen. Statt dessen begann er im gesamten Arsenal der Physik nach Mitteln zu suchen, die den Kosmos gewissermaßen stützen, seine Kreditexistenz stärken und aufrechterhalten könnten. Aber alle seine Bemühungen schlugen fehl. Kosmische Verschuldung läßt sich nicht abzahlen, ganz gleich, was man gegenwärtig täte, da sie nicht innerhalb des Universums, sondern in seinen Anfängen steckt – dort, wo das Weltall zum mächtigsten und zugleich wehrlosesten Schuldner des Nichts geworden ist.
      Eben zu jener Zeit lernte ich den Professor kennen und verbrachte lange Wochen in Gesprächen mit ihm, bei denen er mich zunächst in den Kern seiner Entdeckung einweihte und mir später ein Partner bei der Suche nach Rettung war.
      Ach, dachte ich, während ich mit flammendem Kopf und Verzweiflung im Herzen ins Hotel zurückkehrte, wenn es doch möglich wäre, für einen Sekundenbruchteil dort zu sein – dort, vor 20 Milliarden Jahren –, dann brauchte man nur ein einziges Atom im Vakuum unterzubringen, und daraus könnte, wie aus einem gesteckten Korn, der Kosmos schlüpfen, nunmehr völlig legal, den Gesetzen der Physik, dem Grundsatz der Erhaltung der Materie und der Energie entsprechend – doch wie könnte man dorthin gelangen?
      Als ich dem Professor von dieser Idee erzählte, lächelte er melancholisch und erklärte mir, das Weltall könne nicht aus einem gewöhnlichen Atom entstehen, denn der Keim des Kosmos müßte die ganze Energie all der Umgestaltungen und Wirkungen enthalten, die sich bis zu metagalaktischen Abgründen aufgebläht haben. Obwohl ich meinen Fehler begriff, erwog ich das Problem weiter, bis ich eines Nachmittags – ich rieb mir gerade die Beine mit Öl ein, die von Mückenstichen geschwollen waren – in der Erinnerung in die früheren Jahre zurückwanderte, da ich, durch den kugelförmigen Haufen der Jagdhunde fliegend, mangels besserer Beschäftigung Bücher über theoretische Physik gelesen hatte. Besonders eifrig studierte ich damals einen Band, der sich mit den Elementarteilchen befaßte, und ich erinnerte mich der Hypothese von Feynman, daß es Teilchen gäbe, die sich »gegen den Strich« des Zeitflusses bewegen. Wenn sich ein Elektron so bewegt, gewahren wir es als ein Teilchen mit positiver Ladung (Positron). Ich fragte mich, während ich die Füße in einer Schüssel wusch, was geschehen würde, wenn man ein Elektron nähme und beschleunigte, und zwar so beschleunigte, daß es rückwärts in der Zeit immer schneller und schneller raste – könnte man ihm da nicht einen so gewaltigen Impuls verleihen, daß es über den Anfang der kosmischen Zeit hinausschösse, bis zu jener Stelle im Kalender, an der es noch nichts gab? Könnte dann nicht aus diesem Positron das Weltall entstehen?!
      So wie ich war, barfuß, mit triefend nassen Beinen, rannte ich zum Professor. Er begriff sogleich die Größe meiner Idee und ging ohne ein überflüssiges Wort an die Berechnungen.
      Resultat: Die

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