Sterntagebücher
konnte, wie es das Universum darstellt?
Nachdem ich mich mit der Theorie von S. Rasglas vertraut gemacht hatte, befragte ich ihn unermüdlich nach den näheren Umständen seiner Entdeckung. Solche Probleme hatten mich immer leidenschaftlich bewegt, und es gibt wohl kaum eine bedeutsamere Enthüllung als die der kosmogonischen Theorie von Rasglas! Der Professor, ein stiller und unerhört bescheidener Mensch, erklärte mir, daß er in seinen Überlegungen, vom orthodoxen Standpunkt der Astronomie betrachtet, einfach auf »ungebührliche« Weise vorgegangen sei. Alle Astronomen wissen sehr genau, daß jenes Atomkernchen, aus dem der Kosmos gewachsen sein soll, außerordentliche Probleme aufwirft. Was tun sie also? Nun, sie gehen ihm einfach aus dem Weg, sie weichen dieser Frage aus, die so unbequem ist. Rasglas hingegen hatte es gewagt, ihr seine ganze Mühe zu widmen. In dem Maße, wie er die Fakten sammelte, wie er sich in den Bibliotheken vergrub, wie er die Modelle baute, umgeben von den schnellsten Komputern, sah er immer deutlicher, daß hier ein außergewöhnlicher Hund begraben war. Anfangs hoffte er, daß es ihm gelingen werde, den Widerspruch zu mindern, vielleicht sogar zu beseitigen.
Doch er wurde immer größer. Alle Tatsachen sprachen nämlich dafür, daß der Kosmos wirklich aus einem Atom entstanden war, gleichzeitig aber auch dafür, daß ein solches Atom nicht existiert haben konnte. Hier drängte sich ein Faktum auf, die Hypothese vom Herrgott nämlich, aber die schob Rasglas als indiskutabel beiseite. Ich erinnere mich noch seines Lächelns, mit dem er zu mir sagte: »Man sollte nicht alles auf den Herrgott abwälzen, und ein Astrophysiker dürfte sich schon gar nicht dazu hergeben…« Während also Rasglas monatelang über dieses Dilemma nachdachte, erinnerte er sich seiner früheren Studien. Wer mir das folgende nicht glaubt, der mag den ersten besten Physiker fragen, und der wird ihm sagen, daß gewisse Erscheinungen im kleinsten Maßstab auf eine sozusagen kreditmäßige Art und Weise erfolgen. Die Mesonen, diese Elementarteilchen, verstoßen manchmal gegen die Verhaltensgesetze, aber sie tun das so unerhört schnell, daß sie fast gar nicht gegen sie verstoßen. Das, was durch die Gesetze der Physik verboten ist, tun sie blitzschnell, als ob gar nichts geschähe, und sogleich ordnen sie sich wieder diesen Gesetzen unter. Auf einem seiner morgendlichen Spaziergänge im Universitätspark stellte sich Rasglas die Frage: Was wäre, wenn der Kosmos im größten Maßstab das gleiche getan hat? Wenn die Mesonen sich in einem Sekundenbruchteil, der so winzig ist, daß eine ganze Sekunde dagegen wie eine Ewigkeit wirkt, so verhalten können, dann müßte sich der Kosmos – bei seinen Ausmaßen – entsprechend länger auf jene verbotene Weise verhalten. Zum Beispiel fünfzehn Milliarden Jahre…
Er entstand somit, obwohl er im Grunde nicht entstehen konnte, weil er nichts hatte, woraus er hätte entstehen können. Der Kosmos ist dem nach eine verbotene Fluktuation. Er verkörpert eine Augenblickslaune, eine momentane Abweichung vom richtigen Verhalten, wobei man berücksichtigen muß, daß dieser Augenblick und dieser Moment monumentale Ausmaße besitzen. Das Weltall ist eine solche Abweichung von den Gesetzen der Physik, wie es im kleinsten Maßstab das Meson ist! Von der Vorahnung gepackt, sich auf der Spur des Geheimnisses zu bewegen, begab sich der Professor sogleich ins Labor und nahm verifizierende Berechnungen vor, die Schritt für Schritt bewiesen, daß er recht hatte. Aber noch bevor er sie beendete, schwante ihm, daß die Lösung des Rätsels der Kosmogonie die größte Gefahr in sich barg, die man sich denken konnte.
Der Kosmos besteht nämlich auf Kredit. Er ist mit all seinen Sternansammlungen und Galaxien eine ungeheuerliche Verschul dung, gewissermaßen ein Pfandbrief, ein Obligo, das am Ende beglichen werden muß. Das Weltall ist eine illegale Anleihe, eine material-energetische Schuld, sein scheinbares Haben stellt eigentlich das nackte Soll dar . Somit wird der Kosmos, da er nichts als eine gesetzwidrige Laune ist, eines schönen Tages wie eine Seifenblase platzen. Als Anomalie wird er wieder in das gleiche Nichtsein zurückfallen, aus dem er hervorgetaucht ist. Erst dieser Augenblick wird die Wiederherstellung der Ordnung der Dinge sein.
Der Umstand, daß er, der Kosmos, so groß ist und daß in seinen Weiten schon soviel geschehen konnte, resultiert einfach
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