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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Proudhonisten und Blanquisten, was Lamartine aus den Berichten seiner Kollegen von der Politischen Polizei wußte. Diese Kommune
     rief offen zum Bau von Barrikaden auf, sie stellte sich gegen die Regierung, sie wollte soziale Reformen, ja einen völlig
     neuen Staat. Der Ministerpräsident Adolphe Thiers denke daran, in den nächsten Tagen die Nationalgarde entwaffnen zu lassen,
     was – nach der Ansicht des Korrespondenten – die Bevölkerung als eine Kriegserklärung mißverstehen könnte.
    Lamartine schlug die ›Liberté‹ zu. Zwar wußte er, daß die Unzufriedenheit mit der neuen Regierung unter den einfachen Leuten
     wuchs und daß man Thiers offen vorwarf, die Sache der Clique um Napoleon weiterzuführen und das Großbürgertum und den Adel
     zu unterstützen, während demRest der Bevölkerung ebenso wenig Einfluß eingeräumt wurde wie unter den Aristokraten. Aber die Menschen in Paris schimpften
     immer auf ihre jeweilige Regierung, und Lamartine hatte nirgendwo Menschenmengen gesehen oder gewalttätigen Pöbel – von Barrikaden
     ganz zu schweigen.
    Auch aus einem anderen Grund konnte Lamartine an diesem Abend mit den Neuigkeiten aus seiner Zeitung wenig anfangen: Das soeben
     Erlebte wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen.
    Die Schwiegermutter durchquerte das halbdunkle Zimmer und räumte den Teller weg. »Du mußt doch was essen, mein Sohn!« bettelte
     sie. Als sie das Zimmer verlassen hatte, hörte Lamartine im Flur aufgeregtes Flüstern: Ihr Gatte wartete auf das Essen, das
     der Schwiegersohn verschmäht hatte.
    Lamartine ging ins eheliche Schlafzimmer hinüber. Zuerst dachte er, Jeanne schlafe schon, dann hörte er sie aber leise schluchzen.
     Er zog sich aus und legte sich neben sie. Er wartete, bis sie regelmäßiger atmete, dann fragte er: »Hast du schon einmal ein
     Wesen gesehen, das wie ein Pferd aussieht, nur kleiner und stämmiger ist, einen sehr großen Kopf hat und am ganzen Körper
     schwarzweiß gestreift ist?«
    Jeanne fuhr im Bett hoch, ihr Kopf flog herum, mit rot verheulten Augen sah sie Lamartine an. »Wir darben hier und teilen
     uns einen Schweinemagen – und du   ... du vertrinkst das Geld!« Lamartine drehte sich weg und blies die Kerze aus, die neben seinem Bett brannte.
    Nachts träumte er von dem schwarzweiß gestreiften Wesen. Es verfolgte ihn über einen morastigen Acker, in dem er immer tiefer
     versank, während das Wesen mit den Streifen und den gelblichen Hufen über den Morast galoppierte wie über das Hippodrom von
     Chantilly und dabei die Nüstern bedrohlich aufblies. Kurz bevor das Wesen ihn erreichte, versank Lamartine völlig im Morast.
     Er drohte zu ersticken und erwachte.Als Lamartine am Morgen ins Büro ging, waren ungewöhnlich viele Menschen auf den Straßen. Einige trugen schwarze Waffenröcke
     mit Silberknöpfen in Doppelreihen. Auf der Brücke Pont Notre-Dame, die er immer nahm, um auf die Île de la Cité zu gelangen,
     traf er Gustave Bara, einen Kollegen, der von der Kriminalpolizei zur Politischen Polizei gewechselt war und nun jede Nacht
     Streife laufen mußte.
    An der Vendôme-Säule hätten sie Stricke um das Standbild Napoleon I. geworfen und machten Anstalten, es umzustürzen, teilte
     Bara seinem Kollegen aufgeregt mit. Als Lamartine weniger beeindruckt zu sein schien, als Bara das erhofft hatte, warnte der
     ihn: In der Rue d’Allemagne sei am Morgen die erste Barrikade entstanden, es würde nicht mehr lange dauern, bis der Pöbel
     sich an den Staatsbeamten vergriff.
    Lamartine dankte Bara, der als Aufschneider galt, für die Warnung und setzte seinen Weg zum Justizpalast über den Quai de
     la Corse fort. Er nahm die Sache nicht sehr ernst. In den letzten Wochen und Monaten hatte man sich in Paris an Menschenaufläufe
     gewöhnt. Auch die Barrikaden bedeuteten noch lange nicht, daß die Stadt am Rande einer Revolte stand. Die Menschen waren durch
     die Belagerung und die Niederlage verbittert, niemand konnte von ihnen erwarten, daß sie ihrer Regierung zujubelten. Die Massen
     mußten ihre Wut an irgend etwas auslassen – der Barrikadenbau schadete noch am wenigsten, fand Lamartine.
    Im Büro erwartete ihn Danquart mit einem Schreiben, das er in der Nacht aufgesetzt hatte. In diesem Schreiben teilte er dem
     Untersuchungsrichter mit, daß die Beweise gegen die Kindsmörderin Léontine Suétens so erdrückend wären, daß eine Mordanklage
     bestritten werden konnte. Es fehlte nur noch die Unterschrift Lamartines. Der Inspektor las das

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