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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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kein Pferdehändler.«
    »Aber Sie sind der fähigste Naturwissenschaftler in diesem Haus!«
    Granche schien sich geschmeichelt zu fühlen, denn er beugte sich wieder über die Zeichnung und betrachtete sie so eingehend,
     als könnte man auch unter den Streifen des Wesens verschiedene Schichten freilegen. Lamartine wurde ungeduldig. »Immerhin
     nehmen Sie an, es handele sich um ein Pferd   ... Ich meine, sonst hätten Sie das mit dem Pferdehändler nicht gesagt.«
    Granche schüttelte den Kopf. »Es ist kein Pferd. Soweit man das aufgrund dieser naiven Zeichnung   ...« Er wartete die Wirkung dieser Kränkung bei Lamartine ab, fuhr aber sogleich fort, als der keine Anzeichen von Verärgerung
     zeigte: »...   aufgrund dieser wirklich naiven Zeichnung sagen kann, ist es kein Pferd, sondern ein Esel.«
    »Ein Esel?«
    »Ein Wildesel, um es genau zu sagen. Ahnungslose sagen auch Tigerpferd, wegen der Zeichnung des Felles. Ich halte es aber
     für einen Esel, wegen des niedrigen Wuchses. Soweit ich weiß, kommt es in der Savanne Afrikas vor, also südlich der Sahara.
    »Und nördlich?«
    »Nördlich der Sahara dürfte der Wildesel sich nicht wohl fühlen – wegen der Enge in den Städten.«
    »Ich meinte   ... in Paris.«
    »Paris ist für Wildesel ein denkbar ungeeignetes Pflaster.Ganz abgesehen davon ist das Equus burchelli burchelli – zweifelsohne handelt es sich bei dem hier stilisierten Exemplar um
     einen Vertreter dieser Unterart – so gut wie ausgerottet   ...«
    »Ausgerottet?«
    »Hat es eine rötlich-ockergelbe Grundfarbe?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Na also. Und zwischen den schwarzen Hauptstreifen schmale bräunliche Zwischenstreifen?«
    »Soweit ich mich erinnere: weißlich, sie können aber auch ins Braune gegangen sein   ...«
    »Burchell-Zebra. Eine weitgehend ausgerottete Unterart. Wahrscheinlich auch unnütz für die weitere Evolution – nehme ich zumindest
     an. Warum sonst sollte die Unterart so einfach von der Karte verschwinden?«
    »Ich hätte da noch eine Frage, Doktor   ...«
    Granche schob Lamartines Zeichnung schroff beiseite und widmete sich wieder dem Fleischfetzen unter dem Mikroskop. »Das hier
     ist eine Leiche, von der kein Mensch weiß, ob sie in der Seine ertrunken oder vorher an der Cholera gestorben ist und bloß
     von den Angehörigen ins Wasser geworfen wurde   ...«
    Lamartine nahm seine Zeichnung wieder an sich, bedankte sich artig und machte sich – froh darüber, daß Granche keine weiteren
     Auskünfte von ihm erwartete – davon. Im Flur, in dem es nach Desinfektionsmittel und Verwesung stank, rief ihn Granches Bärenstimme
     zurück. »Was war noch?« fragte der Mediziner, ohne von seinem Okular aufzusehen.
    »Was glauben Sie   ... können Sie sich vorstellen, wie   ... wie so ein Burchell-Zebra schmeckt?«
    »Raus!« brüllte Granche.
     
    Lamartine war enttäuscht. Er wußte zwar nicht genau, was er sich erhofft hatte, aber sicher war es kein Wildesel. Er nahm
     sich Danquarts Ermittlungsakten vor. Im Grunde wußte ernicht, warum er dem Kollegen die Unterschrift verweigert hatte. Wahrscheinlich war es nur die Art, wie sich Danquart über
     sein Interesse an dem Wildesel hinweggesetzt hatte.
    Danquart hatte gute Arbeit geleistet, der Untersuchungsrichter würde zufrieden sein, und wenn es wirklich diese Woche noch
     zur Verhandlung vor einem der Schnellgerichte kommen sollte, die seit dem Belagerungszustand tagten, würde die ehemalige Prostituierte
     Léontine Suétens in weniger als zehn Tagen wegen Kindsmord auf die Guillotine gehen.
    Nach zwei Stunden schlug Lamartine die Akten zu. Er suchte das vorbereitete Papier von Danquart, das er unterschreiben und
     ihm sogleich bringen wollte, aber eigenartigerweise fand er das Blatt nicht mehr an dem Platz, an dem er es abgelegt zu haben
     glaubte. Lamartine fiel ein, daß Danquart es mittlerweile geholt haben könnte, um Korrekturen anzubringen, und er beschloß,
     sich etwas zu essen zu besorgen. Bevor er das Polizeigebäude verließ, ging er zu der Toilette in der Mitte des Ganges und
     wusch sich lange die Hände. Er fühlte sich jedesmal schmutzig, wenn er bei Granche im Keller war.
    Als er die Toilette verließ, begegneten ihm seine beiden anderen Mitarbeiter. Sie zogen lange Gesichter, als er sie von der
     Treppe zurückholte. Offensichtlich hatten sie sich gerade davonmachen wollen. Der Inspektor fragte sie, wohin sie wollten.
     Sie sahen sich verständnislos an, dann erklärte ihm der Ältere der

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