Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
Vom Netzwerk:
sein Hirn und sein Bauch, sein ganzer
     Körper wollten dieses herrliche Fleisch, das er so lange entbehrt hatte – und nichts anderes.
    Die Gäste schienen ebenso zu fühlen – sie redeten nichts mehr, sondern aßen nur noch, sie aßen immer schneller, immer gieriger,
     sie steckten einander mit ihrer Gier an. Es war wie eine gemeinsame Raserei, die alle Hemmungen hinwegschwemmte. Aus den Augenwinkeln
     beobachtete Lamartine die feinen Damen, ausschließlich Schönheiten, die sonst jede ihrer Gesten penibel unter Kontrolle hielten.
     Nun rollten sie beim Essen die Augen wie Schankmädchen, wenn sie besoffen waren und ihren Gästen Geilheit vortäuschten, um
     sie aufs Zimmer zu locken. Es wurde laut geschmatzt. Die zierliche Frau des Gynäkologen rülpste sogar einmal laut, und ihr
     Gatte umarmte sie augenblicklich, anstatt sie für ihr Benehmen zu tadeln.
    Die Livrierten brachten neue Schüsseln mit dampfendem Fleisch. Lecoq verteilte den Rest auf die beiden Teller, bevor die alte
     Schüssel abgeräumt war. Sie aßen immer mehr, immer schneller, immer gieriger. »Daß Fleisch so gut sein kann   ...« hörte sich Lamartine zu Lecoq sagen.
    »Wenn man es nur lange genug entbehrt«, antwortete dieser und griff sich schon wieder einen stattlichen Brocken. Lamartines
     erstes Stück aus der neuen Schüssel hatte einen zartbitteren Beigeschmack. Auch bemerkte der Inspektor im Hintergrund eine
     eigenartige Süße. Es störte ihn nicht, er wunderte sich bloß.

»Ist es das gleiche Fleisch?« fragte er Lecoq.
    »Alles, was heute abend serviert wird, stammt von einem Tier«, antwortete Lecoq. »Darauf wird hier peinlich genau geachtet.«
    Da sah Lamartine wieder den Blick des Wesens, das an dem Fleischerhaken hing, er sah sein großes Gebiß – und es schien ihn
     auszulachen. Er kaute langsamer. Obwohl das Fleisch so mager und so zart war wie ein gutes Steak, schmeckte er deutlich Fett
     – süßliches, ranziges Fett. Es war so, als hätte er in einen der Schmalzklumpen gebissen, die seine Schwiegermutter manchmal
     auf dem Bauernmarkt erstand. Lamartine nahm die Serviette und tupfte sich die Lippen ab.
    Am Nebentisch erhob sich eine Frau in einem altmodischen, rosafarbenen Reifrock, ihr Oberkörper kippte leicht nach vorne,
     so daß sie beide Fäuste auf den Tisch aufstützen mußte. Ihr Gatte sprang auf und begleitete die Frau, die mehrmals mit weit
     aufgerissenen Augen würgte, schnell hinaus. Lecoq schüttelte den Kopf. »Manche der Damen vertragen den Alkohol nicht   ...« Er erhob sein Glas. »Oder sagen wir: Sie sind etwas aus der Übung.«
    Lamartine trank sein Glas in einem Zug leer – aber der ranzige Geschmack verschwand nicht aus seinem Mund. Der schwere Rote
     stieg ihm in den Kopf. »Ich habe eine ungewöhnliche Beobachtung gemacht«, sagte er. Lecoq beugte seinen Kopf leicht zu ihm
     herüber. »Gestern abend wurde im Hof dieses Restaurants ein Tier entladen und in den Keller gestürzt – ein exotisches Tier.
     Ich bin der Meinung, daß es aus dem Pariser Zoo stammt. Es könnte sich um den Vertreter einer sehr seltenen, fast ausgestorbenen
     Art handeln. Ein Burchelli-Esel – falls Sie schon einmal von dieser Spezies gehört haben sollten.«
    Lecoq tupfte seine Lippen ab, ließ sich Wein nachschenken, trank einen kräftigen Schluck und wandte sich dann an Lamartine.
     »Interessant   – Ihre Beobachtung. Welche Folgerungen ziehen Sie?«
    »Das Tier wurde geschlachtet und ausgeweidet.«
    »Ich verstehe – Sie vermuten einen Mord.«
    »Ich weiß nicht, warum Sie sich über mich lustig machen wollen, Monsieur Lecoq!«
    Lecoq rückte seinen Stuhl näher zu Lamartine, er wirkte etwas ungehalten. »Ich habe Sie für klüger gehalten, Lamartine. Sie
     sehen doch, was hier los ist. Das Restaurant wird von meiner Abteilung betrieben – aus verschiedenen Gründen. Ein Grund besteht
     darin, daß wir wie jede Geheimpolizei – also auch die von Herrn Stieber   – Gelder benötigen, die wir keinem vorwitzigen Parlamentsausschuß gegenüber abrechnen müssen. Die Herrschaften zahlen gut,
     sie zahlen in diesen Notzeiten horrende Summen für ein kräftiges und gut zubereitetes Essen, und wir können das Geld gut gebrauchen.
     Ein anderer Grund ist der, daß wir – vor allem den deutschen Besatzern gegenüber – unauffällige, unverdächtige Anlaufstellen
     für unsere Leute brauchen. Sie arbeiten hier und können, ohne auffällige Reisen ins Umland zu unternehmen, hier ihre Aufträge
     übernehmen

Weitere Kostenlose Bücher