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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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gewisse
     bedenkliche Ausuferungen zu tadeln. So müßte man bei allen Volksversammlungen der Kommune beobachten, daß sich kreischende
     Frauenspersonen nach vorne drängten und die Menge mit Forderungen aufputschten, die nicht mehr im Sinne der revolutionären
     Allgemeinheit sein konnten. Eine Demokratisierung der Gesellschaft bedeute nicht, daß die natürlichen Unterschiede unter den
     Menschen aufgehoben werden würden. Armut und Reichtum seien gegen die Würde des Menschen gerichtete Unterschiede, die aus
     der Politik der Adligen und des Großbürgertums herrührten. Der Unterschied zwischen Mann und Frau aber sei ein Unterschied,
     den die Natur gesetzt habe und der deshalb auch von Revolutionären respektiert werden müsse. Wer allerdings die Frauen an
     die Hochöfen oder an die neuen Schnellfeuergewehre stelle, vergehe sich gegen ein Naturgesetz. Ebenso sei es ein Irrtum zu
     glauben, Frauen würden in den revolutionären Gremien eine gute Aufgabe erfüllen. Die Natur habe den Frauen eine spezifische
     Ausstattung mitgegeben, die sie zum Kinderkriegen, zum Führen eines Haushaltes und zu pflegerischen Arbeiten befähige. Das
     seien durchaus ehrbare Tätigkeiten, die ebenso hoch stünden wie das Engagement der Männer in öffentlichen Dingen.
    Im übrigen, schloß der Kommentator, kenne man den Typus der Flintenweiber, die jetzt auf die Rednertribünen drängten, noch
     allzu gut aus den Wirren der ersten Revolution: Es handele sich nämlich um die, die früher an den Schafotten ausgeharrt hatten,
     um abwechselnd still strickend und hysterisch kreischend den Hinrichtungen beizuwohnen – ganz gleich ob es sich bei den Delinquenten
     um verbrecherische Volksschädlinge oder um durch Intrigen zu Fall gebrachte Revolutionäre handelte. Mit diesem Typus sollte
     sich die neue Gesellschaft nicht einlassen, denn er brächte nur die Schattenseiten des weiblichen Charakters in den Staat
     hinein: Irrationalität, Hämeund Blutdurst. Der letzte Satz war kursiv gedruckt:
»Die Kommune kommt ohne Eulalia Papavoine und Léontine Suétens aus, beide Frauen haben ihre Verdienste , die Massen lieben sie , aber sie sollten selbst ein Einsehen haben und sich jetzt , da die Regierungsbildung ansteht , im Interesse der gemeinsamen Sache zurückziehen. Ich danke ihnen für dieses Opfer!«
    Lamartine faltete die Zeitung zusammen und legte sie unter seinen Stuhl.
    Léontine Suétens war eine umstrittene Figur, aber sie schien auch Einfluß in der Kommune zu haben, sonst hätte sich der Kommentator
     nicht so liebedienerisch aus der Affäre gezogen. Der Schreiber war ein offener Neojakobiner, er hatte Wochen vorher gnadenlos
     die Köpfe von Politikern gefordert, die seiner Meinung nach gegen das Interesse der Allgemeinheit gehandelt hatten. Und jetzt
     sprang er – für seine Verhältnisse so vorsichtig mit den beiden Frauen um   ... Die Suétens mußte Macht haben, sie mußte gefährlich sein für ihre Feinde in der Kommune und erst recht für die Vertreter
     des alten Regimes.
    Als Lamartine zu Bett ging, schlief Jeanne schon tief. Er horchte noch eine Weile auf den schweren, unregelmäßigen Atem der
     Schwangeren, dann schlief er selbst ein. In der Nacht träumte er von den Kämpfen auf den Barrikaden. Er trug seinen kleinen,
     in nasse Windeln gewickelten Sohn auf dem Arm und versuchte, ihn unbeschadet durch die Feuerlinien zu bringen. Jeanne, den
     Schwiegervater und die Schwiegermutter hatte er mit schweren Schußwunden zurücklassen müssen.
     
    Am nächsten Morgen wurde Inspektor Lamartine vom Polizeidirektor und von Danquart in seinem Büro erwartet. Die beiden zeigten
     ernste Gesichter, aber Lamartine gab sich Mühe, nicht überrascht zu wirken und nicht laut zu werden. Er hatte mit einem Auftritt
     des Vorgesetzten gerechnet.
    »Sie wissen, daß ich Sie schätze, Lamartine«, begann der Polizeidirektor, ein großer, ungewöhnlich fülliger Mann mit graublonden
     Haaren, einer schorfigen Knollennase und einemvom Rotwein geröteten Gesicht. »Allerdings bin ich von anderen Dienststellen und von Ihrem Mitarbeiter Danquart auf eine etwas
     eigenwillige Handhabung Ihrer Dienstpflicht aufmerksam gemacht worden.« Der Polizeidirektor wedelte mit der Akte Suétens.
     »Sie sollen eine Mörderin schützen! Sind Sie etwa mit der Person bekannt?«
    »Nein!«
    »Haben Sie sie jemals gesehen?«
    »Nur einmal. Ganz kurz, in einem Bistro.«
    »Welche Wirkung hatte diese Frau auf Sie?«
    »Keine besondere.«
    Damit war der

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